Freiwilligendienst in Frankreich

Lilly (19) macht ihr Diakonisches Jahr im Ausland in einem französischen Altersheim. Sie erzählt von Senioren, die mal dankbar, mal unzufrieden sind, und sagt, sie sei schon viel selbstbewusster und gelassener geworden.

Ich werde oft gefragt, warum ich mir denn nun gerade dieses Altenheim „Bleuets du Pilat“ („Kornblumen des Pilat“) in diesem kleinen Ort Pélussin in der Nähe von Lyon für meinen Freiwilligendienst ausgesucht habe. Da muss ich dann sagen, dass mir die Einsatzstelle vorgeschlagen worden ist und ich sie angenommen habe. Aber ich sage auch, dass ich zufrieden damit bin, hier zu sein. Ganz besonders freut mich, dass ich in einem kleinen, nicht auf medizinische Pflege eingerichteten Altenheim arbeiten darf. Die Hälfte der 43 Zimmer sind dauerhaft besetzt von unseren ständigen Bewohnern („résidents permanents“), die andere Hälfte wird von Senioren genutzt, die sich zum Beispiel nach einer Operation zwei Wochen ausruhen wollen oder den harten Teil des Winters lieber nicht allein in ihrem Haus verbringen möchten.

Ich war davon ausgegangen, wahrscheinlich mit sehr alten und sehr kranken Menschen zu arbeiten und finde es jetzt aber auch sehr schön, mit Senioren zu arbeiten, die alle noch relativ selbstständig sind und mit denen man auch geistig und motorisch etwas anspruchsvollere Animationen machen kann. Besonders gefällt mir, dass ich ob der überschaubaren Größe des Hauses alle persönlich kenne und viele sehr lieb gewonnen habe. Aber auch der Wechsel der zeitweisen Bewohner ist interessant, weil man so immer neue Leute kennen lernt.

Die andere deutsche Freiwilligendienstleistende und ich haben hier also die Aufgabe der Animation. Wir basteln, spielen, malen, gucken Filme und leiten die Gymnastik an. Auch singen wir mit den résidents französische Klassiker, was am Anfang nicht so einfach war. Inzwischen haben wir aber schon ein relativ gutes Repertoire an Chansons drauf. Nach einem halben Jahr allerdings merken wir, dass wir auch  für uns mehr Abwechslung brauchen. So haben wir vor zwei Wochen unsere lutherische Kirche vorgestellt und nächste Woche folgt dann eine „Semaine Allemande“ (deutsche Woche), in der wir unter anderem unsere Herkunftsgegenden Nordfriesland und Schwaben vorstellen und Rotkohl mit Frikadellen und Spätzle kochen (der Kompromiss zwischen Nord und Süd!).

Natürlich ist manches aber auch schwierig. Jetzt im Winter sind die Senioren oft antriebsloser und uns fällt es manchmal schwer, uns nicht auch runterziehen zu lassen. Es ist nicht immer leicht, zu ermutigen oder sogar gute Laune zu verbreiten. Auch wenn hier alle Senioren relativ selbstständig sind, sind sie verschieden selbstständig. Manche sind noch sehr klar im Kopf und ärgern sich über Spiele, die zu leicht für sie sind, gleichzeitig sind sie aber vielleicht nicht mehr gut zu Fuß und ärgern sich über Gymnastik, die ihnen zu schwer ist. Da gibt es dann manchmal Unzufriedenheit unter den Bewohnern und man muss lernen, und sie auch, dass man es nicht immer allen recht machen kann. Gerade weil die Senioren einem hier oft noch recht agil erscheinen, darf man auch nicht vergessen, dass es einen Grund hat, dass sie hier sind. Viele haben es schwer, mit dem Alter und der Phase des Übergangs zur Abhängigkeit umzugehen. Hinzu kommen teilweise schwere Lebensgeschichten, manchmal auch anstrengende Charaktere und der ganz andere kulturelle Hintergrund.

Wie ich mich verändert habe, kann ich wohl erst richtig sagen, wenn ich wieder zuhause bin, in meiner alten Umgebung. Ich habe aber den Eindruck, dass ich selbstbewusster geworden bin im wörtlichsten Sinne. Ich bin mir vieler Fähigkeiten bewusst geworden, die ich schon vorher hatte, die ich aber jetzt erst entdeckt oder schätzen gelernt habe. Ich glaube schon, dass ich auch mehr aus mir herauskomme. Aber ein ruhiger Mensch bin ich geblieben, dafür bin ich jetzt aber auch innerlich ruhiger, was ich sehr angenehm finde. Ich nehme die Dinge gelassener. Das zum Beispiel habe ich wohl von den Franzosen abgeguckt. Die sind spontaner und weniger perfektionistisch als wir. Und wenn mal etwas nicht klappt: Tant pis! Als ich allerdings letzte Woche mein Auto vor der Post so geparkt habe, dass ich eine Fahrbahn blockierte, zwei Autos das Ausparken versperrte und das  niemanden störte außer mich selbst, habe ich gemerkt, dass ich doch noch nicht so gelassen wie die Franzosen bin. Aber so gelassen sollte ich vielleicht auch gar nicht werden, ich muss ja später auch noch wieder im deutschen Verkehr zurechtkommen.

Obwohl mir, besonders weil ich mit im Altenheim wohne, manchmal junge Leute und Abwechslung fehlen, bin ich auch froh, die Arbeit mit alten Menschen als Einsatzgebiet gewählt zu haben. Es ist eine Arbeit, bei der man viel zurückbekommt von dem, was man gibt. Außerdem ist das Altern ein Thema, mit dem wir uns in unserer Gesellschaft zu wenig beschäftigen,  mit dem es sich aber zu beschäftigen lohnt. Gar nicht mal unbedingt durch das Gespräch, sondern besonders durch das Beobachten der Leute kann man viel lernen. Auch wenn es hart klingt, man lernt auch, wie man nicht enden will und wie einem bestimmte Einstellungen zum Leben, zu sich und zu seinen Mitmenschen den Lebensabend schwer machen.

Ich bin froh, die Möglichkeit, nach dem Abitur ein Diakonisches Jahr im Ausland zu machen, genutzt zu haben. Ich glaube, dass man später wahrscheinlich nie wieder familiär und beruflich so ungebunden ist, um so leicht für zehn Monate lang weggehen zu können und seinen Alltag dermaßen drastisch anders zu gestalten. Ich lebe in einem anderen Land, spreche eine andere Sprache, verbringe meine Tage statt mit Gleichaltrigen und Lehrern mit Senioren, habe feste Arbeitszeiten, lebe in den Bergen statt am Meer, und während ich vor einem Jahr noch eine chronisch gestresste Abiturientin war, sind meine Hauptbeschäftigungen jetzt Malen, Singen, Musizieren, lange und gut Essen, Gymnastik und Lesen. Nun wird mich in vier Monaten wohl oder übel mein ganz anderes Leben wieder haben. Allerdings glaube ich, dass ich ihm gestärkter und zufriedener entgegentreten kann als ich es noch vor einem Jahr vermocht hätte. Und bis dahin ist ja auch noch etwas Zeit und jetzt freue ich mich erst mal, meinen Senioren nächste Woche zu erklären, was eine Hallig ist und warum wir in Nordfriesland Rummelpott laufen.

 

Alle Infos zum Diakonischen Jahr im Ausland hier

Lilly macht ihr Diakonisches Jahr im Ausland (DJiA) über die Evangelischen Freiwilligendienste für junge Menschen FSJ und DJiA gGmbH (www.djia.de).