„Nach dem FSJ-Seminar überdenke ich meinen Berufswunsch“

„Ich weinte, dass ich keine Schuhe hatte, bis ich einen sah, der keine Füße hatte.“ (Helen Adams Keller) Diese Worte stammen von einer taub-blinden Schriftstellerin, die mit ihrem Schicksal ein schweres Los gezogen hat und sich dennoch nicht unterkriegen lässt. In der letzten Woche habe ich viele solche Menschen kennengelernt und erlebt. Menschen, die es schwer haben und dennoch kämpfen und ihr Leben meistern. Das erste Zwischenseminar meines Freiwilligen Sozialen Jahrs in Klein Süntel befasste sich mit dem Thema Behinderungen und hat mich ein ganzes Stück weitergebracht. Ich habe viel gelernt und es hat sich in mir einiges bewegt.

Hallo ihr Lieben, in der vergangenen Woche war ich nicht wie üblich in der integrativen KiTa „Elfriede Westphal“, sondern nahm am zweiten der insgesamt fünf Bildungsseminare teil. Wir beschäftigten uns wie zuvor erwähnt mit verschiedenen Behinderungsbildern, machten Selbsterfahrungen, um uns in die Lage von Menschen mit gewissen Einschränkungen hineinzuversetzen, und besuchten das Taub-Blinden-Zentrum in Fischbeck. Außerdem besuchte uns eine Frau, die an Muskelschwund erkrankt ist und uns ihre Lebensgeschichte erzählte. In diesen fünf Tagen habe ich wirklich unglaublich viele Erfahrungen und Informationen sammeln können, von denen ich Euch gar nicht umfassend genug berichten könnte, aber die Highlights, die muss ich Euch mitteilen! 🙂

Zunächst ist das Seminar natürlich auch zur Reflektion meines FSJs da. Was ich festgestellt habe ist, dass mir dieser Blog hier, den ich für Euch schreibe, wirklich weiterhilft. Er bringt mich jede Woche dazu, mindestens einmal zu reflektieren, was ich erlebt habe, was es mir gebracht hat und was ich positiv bzw. negativ wahrgenommen habe. So auch bei diesem Seminar. Am Ende der Woche habe ich mich wirklich einfach nur darauf gefreut, nach Hause zu fahren und währenddessen habe ich meine Einsatzstelle unglaublich vermisst, aber es hat mir wirklich viele Denkanstöße gegeben. Für meine eigene Lebenseinstellung, aber auch für meine spätere Berufswahl, die seit einigen Wochen auf der Kippe steht.

Einen großen Teil dazu beigetragen hat die Frau, die uns am Dienstag über ihr Leben berichtete. Eine tolle Frau! Sie ist im frühen Kindesalter an Muskelschwund erkrankt, sitzt im Rollstuhl und kann fast ausschließlich ihre Arme bewegen. Täglich ist sie auf Assistenz beim Anziehen, Einkaufen und Mobil-Sein angewiesen. Davon ist sie tierisch genervt und dennoch blickt sie nach vorne und meistert ihr Leben. Sie hat mehrere Ausbildungen gemacht, hat studiert, bei Wohnprojekten mitgearbeitet und trotz Risikos und Schmerzen ein gesunden Mädchen zur Welt gebracht, das heute sechs Jahre alt ist. Unterkriegen lassen? Keine Chance! Sie ist frech und witzig und macht alles, wovon sie träumt, wahr. Diese Frau hat mir wirklich einige Denkanstöße gegeben, da sie eine Wärme und Lebenslust ausstrahlt, die ansteckt. Es gibt so viele Menschen auf dieser Welt, die es wesentlich leichter haben und nicht einem solchen Schicksal erlegen sind und es trotzdem nicht schaffen optimistisch zu sein. Wenn man sich das durch den Kopf gehen lässt, ändert sich der Blick auf die Welt. Auch mein Blick für das Berufsleben hat sich geändert. Ich habe das Gefühl, das mich Lehramt nicht ausfüllt, sondern ein Beruf, der tiefer in diese soziale und pädagogische Welt führt.

Wir haben Selbsterfahrungsübungen gemacht, die auch sehr prägend waren. Verbindet Euch mal die Augen, steckt Stöpsel in die Ohren und lasst Euch von jemandem an einem unbekannten Ort führen. Man fühlt sich so hilflos, muss dem Gegenüber blind und taub vertrauen, fühlt sich so extrem isoliert. Wenn ich mir vorstelle, dass manche Menschen immer so durch die Welt gehen, lerne ich meine funktionsfähigen Sinne unglaublich zu schätzen. Wir haben das Taub-Blinden-Zentrum in Fischbeck besucht und zusätzlich zu einer Führung noch eine Menge über deren Leben erfahren. Ich hätte es mir dort nicht so groß vorgestellt. Es gibt unzählige Häuser mit je sieben Bewohnern, eine Werkstatt, ein Schwimmbecken, eine Sporthalle, einen Spielplatz. Es ist wie ein eigenes Dorf für sich – für blinde und taube Menschen. Im Zuge dieses Perspektivenwechsels war ich zum einen schockiert und zum anderen fasziniert. Und wieder fühlte ich mich in meiner Berufswahl beeinflusst. Diese Menschen sind total eingeschränkt in ihrer Wahrnehmung und haben dort trotzdem so ein schönes Leben. Ein Teil von so einem Projekt zu sein, muss zwar schwer, aber auch erfüllend sein. Die Leiterin des TBZs hat solche Zufriedenheit und Kompetenz ausgestrahlt, dass sie mir auch einige Denkanstöße weitergegeben hat.

Zusätzlich zu den Highlights haben einige der 23 FSJler meiner Seminargruppe Vorträge zu verschiedenen Behinderungsbildern gehalten. Wir haben mehr über Multiple Sklerose, Autismus und geistigen Behinderungen erfahren und ich selbst habe über Inklusion referiert. Es war wirklich mehr als interessant und ich habe das Gefühl mich noch weiter damit aktiv auseinandersetzen zu wollen. Alles in allem kann ich sagen, dass mir dieses Seminar viel gebracht hat und ich jedem empfehlen kann, sich mit diesen Themen auseinanderzusetzen und ein Freiwilliges Soziales Jahr zumachen. Man erhält teilweise andere Blickwinkel auf die Welt und seine Fähigkeiten und entwickelt sich wirklich weiter! 🙂 Liebste Grüße Michelle! 🙂