Jugendliche mit massiven Problemen – eine Herausforderung für den Heimerzieher

Den Beruf des Erziehers kennt jeder, den des Jugend- und Heimerziehers eher nicht. Beides sind Berufe, die ebenso wie das Studium Soziale Arbeit infrage kommen, wenn du mit Kindern und Jugendlichen arbeiten möchtest. Über die Unterschiede zwischen den beiden und die Unterschiede zwischen der Arbeit des Heimerziehers früher und heute haben wir mit Dr. Elke Steinbacher, Schulleiterin der Fachschule für Sozialwesen der Sophienpflege in Tübingen, gesprochen.

Foto SteinbacherFrau Dr. Steinbacher, der Erzieher arbeitet mit kleinen Kindern, der Jugend- und Heimerzieher mit größeren, kann man das so sagen?

Eigentlich kann sowohl der Erzieher als auch der Jugend- und Heimerzieher mit Kindern und Jugendlichen von 0-18 arbeiten, und das wird in der Ausbildung auch so vermittelt. Da die Kitas aber ihre Betreuungsangebote gerade stark auf die Unter Dreijährigen ausdehnen, ist es in der Realität doch so, dass der Erzieher sich eher um die 0-6jährigen kümmert, während der Heimerzieher mit den älteren zu tun hat.

Ist der Beruf des Jugend- und Heimerziehers noch das, was er mal war?

Der Beruf hat sich in den letzten 20 Jahren sehr stark verändert. Zum Beispiel hat der Heimerzieher in Wohngruppen, wo er häufig eingesetzt wird, immer weniger mit normal entwickelten Kindern und Jugendlichen zu tun, in deren Familien eher die Eltern das Problem haben, z.B. Alkoholiker sind. Solche Jugendlichen wurden früher in Wohngruppen untergebracht, heute werden sie eher mit der sozialpädagogischen Familienhilfe erreicht. Die Jugendlichen, die heute in die Wohngruppen kommen, haben dagegen häufig schon Psychiatrieerfahrung, haben viele Stationen im ambulanten Bereich hinter sich, und haben selbst massive Probleme. Damit muss der Heimerzieher umgehen können. Durch die boomenden Ganztagsschulen sind manche Angebote der Jugendhilfe, in denen früher der Heimerzieher gearbeitet hat, am Verschwinden, zum Beispiel Tagesgruppen. Dafür kann der Heimerzieher heute in der Schule arbeiten, die Jugendhilfe wandert in die Schule.

Was ist die besondere Herausforderung am Beruf des Jugend- und Heimerziehers?

Es ist nicht leicht, die Rolle eines Heimerziehers zu definieren. Er ist in gewisser Weise Elternersatz, aber übernimmt nicht die Elternrolle. Er ist eher eine elternähnliche Bezugsperson, eine wichtige erwachsene Bezugsperson. Heimerzieher dürfen sich nicht dazu hinreißen lassen, Mutter- oder Vatergefühle gegenüber den Kindern oder Jugendlichen zu entwickeln oder gar auszuleben, es ist unprofessionell, in Konkurrenz zu den leiblichen Eltern zu gehen. Denn erstens haben die Jugendlichen ja noch Eltern und lieben sie auch über alles, auch wenn sie drogenabhängig oder gewalttätig sind, und zweitens funktioniert der Deal nur, wenn die Eltern es zulassen, dass sich ihre Kinder in der Wohngruppe wohlfühlen. Das können sie nur, wenn sie nicht das Gefühl haben müssen, dass die Betreuer ihnen die Elternrolle streitig machen. Trotzdem soll das nun auch nicht heißen, dass die Beziehung distanziert bleiben muss. Die Balance muss stimmen und ist schwierig abzuwägen.

Wir haben den Eindruck, dass Jugend- und Heimerzieher im Vergleich zu anderen sozialen Berufen ein Beruf ist, in dem mehr Männer arbeiten. Ist das so?

Man kann sagen, dass Heimerzieher ein sozialer Beruf ist, der im Vergleich zu anderen deutlich mehr Männer anzieht. Ein Drittel bis zwei Fünftel unserer Azubis sind männlich.

Welche Besonderheiten gibt es noch am Beruf des Heimerziehers?

Was vielen nicht klar ist: Zur Ausbildung des Heimerziehers gehört auch ein hauswirtschaftlicher Teil, die Versorgung der Jugendlichen in der Wohngruppe. Situationen des gemeinsamen Essens sind sehr wichtig. Wer gut kochen kann, der hat bei den Jugendlichen sofort einen Stein im Brett. Liebe geht durch den Magen! Außerdem ist es Teil der Aufgabe des Heimerziehers, den Jugendlichen gesunde Ernährung beizubringen.

Zweitens: Unsere Azubis müssen bei Ausbildungsbeginn 18 sein oder spätestens im ersten halben Jahr der Ausbildung 18 werden, denn erstens können sie sonst nicht überall eingesetzt werden, wo es nötig ist, z.B. in Nachtschichten, und zweitens ist es sowieso schon eine große Herausforderung, mit Jugendlichen klarzukommen, die gerade mal zwei, drei Jahre jünger sind als man selbst – da sollte man zumindest eine gewisse Erfahrung mitbringen.

Heimerzieher ist außerdem ein typischer Quereinsteigerberuf. Es gibt in der Sophienpflege viele Azubis, die vorher einen anderen Beruf gemacht haben oder älter sind, zum Beispiel einen 30jährigen Landschaftsgärtner oder eine 53jährige Mutter, die nach der Familienphase wiedereinsteigt. Die Lebenserfahrung hilft den älteren Azubis sehr im Umgang mit den Problem-Jugendlichen.

Aber Sie nehmen auch junge Bewerber direkt nach der Schule. Worauf achten Sie bei der Auswahl?

Junge Azubis sollten gerne mit Menschen umgehen, sie sollten unbedingt schon ehrenamtlich in einem Verein oder in der kirchlichen Jugendarbeit engagiert sein oder durch jüngere Geschwister auf ihre Rolle als Erzieher vorbereitet sein. Ein guter Heimerzieher ist meist jemand, der im Freundeskreis derjenige ist, an den sich die Freunde mit ihren Problemen wenden, dem sie sich anvertrauen. Wenn jemand im Bewerbungsgespräch einfach nur sagt: „ich will helfen“ und das nicht näher ausführen kann, überzeugt uns das nicht. Wenn er sagt: „Ich war als Jugendlicher selbst nicht so einfach, habe aber erlebt, dass mir ein Erwachsener geholfen hat, und möchte das jetzt weitergeben“, nehmen wir ihn gern – vorausgesetzt der Rest stimmt auch.

Aber ist es nicht hinderlich für die Ausbildung, wenn der Azubi selbst Probleme hat?

Es ist nicht ungewöhnlich, dass sich während der Ausbildung Konflikte im eigenen Leben sogar noch einmal auftun, und das ist auch nicht schlimm. Grundsätzlich gilt zwar, dass in sozialen Berufen nur arbeiten kann, wer seine eigenen Konflikte gelöst hat und in einer stabilen Lebenssituation ist. Aber durch die Inhalte unserer Ausbildung lernt man ja auch viel über sich selbst, die Ausbildung regt an, sich mit seiner eigenen Geschichte auseinanderzusetzen, genau das ist ja auch gewollt. Manchmal möchten Azubis die Ausbildung dann unterbrechen und sagen: Ich brauche ein halbes Jahr Pause, um mich auf mein eigenes Leben zu konzentrieren und es ins Reine zu bringen, kann ich danach weitermachen? Wir prüfen das dann und unterstützen es auch.

Vielen Dank, Dr. Elke Steinbacher!