Leben im Rollstuhl

Liebe Community, nun befinde ich mich morgen schon in der siebten Woche meines sozialpflegerischen Praktikums, welches ich innerhalb meiner Sozialassistentenausbildung im Evangelischen Johannesstift absolviere. Ich habe jede Menge Eindrücke und Erfahrungen gesammelt, war von mir selber erstaunt und manchmal auch enttäuscht, weil ich Sachen nicht gesehen habe, die so offensichtlich waren.

Jetzt ist eine weitere Woche vergangen oder eigentlich schon zwei, seitdem ich das letzte Mal geschrieben habe. Inzwischen fühle mich richtig wohl in meiner Klasse, ich mag die Schüler und die Betreuer, ich mag das Arbeitsklima und den lockeren Umgang und ich mag die Freude, die ich an der Arbeit habe. Ich mag es, Ideen zu sammeln für den Morgenkreis oder für die Freispielzeit, ich mag es, Francine Lieder vorzuträllern, die ich mir kurz zuvor ausgedacht habe und ich mag, wie sie sich darüber freut. Ich mag es, Zooni zu streicheln, um sie zu beruhigen (Zooni ist schwerst mehrfachbehindert und blind).

Ich mag das Brabbeln und scheinbare Lachen von Mika der ebenso eine schwerst Mehrfachbehinderung hat, blind ist und unter epileptischen Anfällen leidet. Ich freue mich über jeden noch so kleinen Fortschritt, den die Schüler machen. Genauso mag ich es, meiner Anleiterin bei der Arbeit zuzuschauen. Meine Anleiterin ist gelernte Heilerziehungspflegerin, aber auch nicht auf dem ersten Weg. Sie wusste zwar schon früh, dass sie etwas machen möchte, bei dem sie Kontakt zu Menschen hat, landete aber erst einmal bei der Post. Dort musste sie zu ihrer Enttäuschung feststellen, dass sie zwar Menschen hilft, indem sie ihnen ihre Post brachte, aber nie oder selten jemanden davon zu Gesicht bekam.

Nachdem ihr klar war, dass Kita und Jugendarbeit nichts für sie war, stürzte sie sich fast blind in die Ausbildung der Heilerziehungspflege, obwohl sie sich das vorher nie hätte vorstellen können. Und sie liebt ihren Job, das sieht man ihr an! Mit Freude denkt sie sich immer wieder neue Sachen für die Schüler aus und ist jedes Mal in ihrem Element. Mittendrin statt nur dabei.  So eine Freude und so ein Leuchten in den Augen bei der Arbeit konnte ich bisher bei noch keinem anderen Betreuer der Schule wahrnehmen!

Ich wünsche mir für die Zukunft, dass ich vielleicht auch irgendwann mal Anleiterin bin und meine Praktikantin genau das gleiche über mich sagen kann. Dass man mir ansieht wie sehr ich meinen Beruf und meine Arbeit liebe. Und natürlich wünsche ich mir das auch für mein späteres Klientel, weil die ja dann am meisten etwas davon haben, wenn ich meinen Job gerne mache. Und das alles zeigt mir einfach, dass ich genau den richtigen Weg gewählt habe.

In dieser Woche war sogar der Seminartag mal etwas interessant. Wir durften ein Rollentausch vornehmen, uns im Rollstuhl rumschieben lassen und auch selber fahren. Ich sage euch, auf Dauer ging das ganz schön auf die Arme! Ich habe mich gefühlt wie eine Schnecke. Ich kam gar nicht voran. Und wenn dich jemand schiebt, ist es zwar bequem aber auch ein wenig unheimlich, weil du keinen richtigen Einfluss auf das Geschehen hast. Man fühlt sich sehr unbeholfen. Wir sahen den Tag eher spaßig und fanden es ganz lustig durch die Gegend zu rollen und hier und da verschiedene Ebenen auszuprobieren, aber ich denke, für die wirklich Betroffenen ist es nicht so ein Spaß.

Bevor es mit den Rollis auf die Straße ging, hat uns ein Physiotherapeut noch einiges über den Rollstuhl erzählt, z.B. wie wichtig es ist für Pflegekräfte, etwas darüber zu wissen, und wie wenig es wirklich tun. Denn es kann sehr unangenehm für die Rollstuhlfahrer sein, wenn sie den ganzen Tag da drin sitzen und dann eventuell noch falsch. Und es gibt ja behinderte Menschen oder auch alte Menschen mit Demenz, die sich nicht mehr artikulieren und mitteilen können, wenn ihnen etwas unangenehm ist.

Ich fand es auch sehr interessant wie viele verschiedene Rollstühle es gibt und wie sehr sie einem das Leben erleichtern können. Der Physiotherapeut hat uns 12 Rollstühle vorgestellt und es gibt noch viel, viel mehr! Es gibt sogar einen Rollstuhl, den man nur mit einer Hand bedienen kann, war gar nicht so einfach den zu steuern, aber trotzdem find ich es toll, dass es solche gibt und auch denen, die nur einen Arm zur Verfügung haben, ein bisschen Selbstständigkeit geschenkt werden kann. Euch habe ich zu diesem Tag wieder ein paar Bilder mitgebracht.

So, was gibt’s noch zu berichten? Ab morgen betreue ich einen neuen Schüler. In den letzten beiden Praktikumswochen werde ich wie die anderen Betreuer täglich einen anderen Schüler haben. Außerdem fangen wir jetzt an, für den Wochenendkreis zu proben. Jede Klasse macht eigentlich jede Woche (immer freitags) den Wochenendkreis. Da wird gesungen oder ein Stück aufgeführt. In der letzten Woche machen aber die Praktikanten der A-H-F-Schule (also wir aus der Soza4) den Wochenendkreis – dazu hat jeder Praktikant einen Schüler aus seiner Klasse dabei.

Ich wünsche euch eine schöne Woche und sage bye bis zum nächsten Mal. Liebe Grüße, Candy J

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24 Jahre alt, in der Ausbildung zur Sozialassistentin am Evangelischen Johannesstift Spandau