Ben (28) ist Diplom-Sozialpädagoge und arbeitet bei der Neuen Chance gGmbH in Berlin, die zur Diakonie gehört. Von Oktober 2014 bis Ende Dezember 2014 war er im Rahmen eines Mitarbeiteraustausches mit einem sozialen Projekt in Amsterdam in den Niederlanden. Wir haben ihn für euch gefragt, wie die Sozialarbeiter dort so ticken, was er erlebt hat und was ihm seine Erfahrungen zurück in der Heimat nutzen:
Wie kamst du überhaupt zu deinem Beruf, Ben?
Erstmal sind meine Eltern beide Sozialarbeiter, das hatte aber nur am Rande etwas mit meiner Berufswahl zu tun. Eigentlich wusste ich nicht so recht, was ich machen wollte. Erste Berührungspunkte mit der Sozialarbeit hatte ich beim Zivildienst und Ehrenamt in der Behindertenhilfe. Danach bin ich erstmal ein Jahr gereist. Nach meiner Rückkehr habe ich überlegt, was ich studieren könnte. Mit einem Fachhochschulabschluss kommen ja nicht so viele Studiengänge infrage. Ich habe dann einfach mal mit Sozialarbeit angefangen, weil mir das vertraut war. Der Plan war nicht unbedingt, das auch zu Ende zu machen. Aber meine Praktika in der Wohnungslosenhilfe haben mich dann überzeugt, es durchzuziehen und in dem Bereich zu arbeiten. Inzwischen bin ich seit fast drei Jahren bei der Neuen Chance.
Und wie kam es dazu, dass du für zwei Monate in den Niederlanden gearbeitet hast?
Wir bekamen eine E-Mail von dem Projekt „Rambler“ aus Amsterdam. Die Verantwortlichen wollten das Projekt internationalisieren und suchten Kooperationspartner in Berlin. Wir fanden das interessant und haben eine Arbeitsgruppe gegründet und sind nach Amsterdam gefahren, um uns das Projekt anzuschauen. Die Niederländer waren auch bei uns und haben ihre Arbeit vorgestellt. Dann haben wir über das Erasmus+ Programm Fördermittel für einen internationalen Austausch von Jugendhilfeträgern beantragt. Im Projektantrag war auch ein Mitarbeiteraustausch vorgesehen. Als dann der erste Mitarbeiter von unserer Seite für zwei Monate nach Amsterdam gehen sollte, wurde innerhalb der Projektgruppe geguckt, wer dafür in Frage käme. Da ich von Anfang an Interesse gezeigt hatte, auch später in dem Berliner Projekt zu arbeiten und es zu diesem Zeitpunkt auch noch aus betriebsstruktureller Sicht ziemlich gut passte, fiel dann die Wahl auf mich. Es besteht aber noch die Möglichkeit für sechs weitere Mitarbeiter, den Austausch zu machen.
Was ist „Rambler“ für ein Projekt?
Es geht auf eine Amsterdamer Designerin zurück, die ihren festen Arbeitsplatz an den Nagel gehängt hat. Sie ist durch Europa gereist und hat ehrenamtlich in Notunterkünften für Wohnungslose Modedesign-Workshops angeboten. Die sind super angekommen, die Wohnungslosen sind total darin aufgegangen. Zudem hat sie festgestellt, dass die TeilnehmerInnen ziemlich gute und vor allem authentische Ideen hatten. Die Designerin hat sich beraten lassen und das Ganze zurück in ihrer Heimat als Projekt aufgezogen. Sie hat dann zusammen mit einem Unternehmensberater ein Studio eröffnet, in dem sie mit Wohnungslosen und psychisch kranken Jugendlichen und jungen Erwachsenen Mode entwirft und ihnen zudem die Möglichkeit bietet, niedrigschwellige sozialpädagogische Beratung zu bekommen. Dabei hat sie Unterstützung von einem Team aus Sozialarbeitern und professionellen DesignerInnen. Die Idee ist, den kreativen Ansatz zu nutzen, um eine Anbindung der jungen DesignerInnen an das soziale Hilfesystem zu erreichen. Um das Projekt dauerhaft zu finanzieren, kam das Team auf die Idee, aus den Designs eine Modekollektion zu entwerfen und die Kleidung dann auch zu produzieren, um sie im Studio verkaufen zu können. Es wurde letztendlich ein Label gegründet. Damit sich das Ganze aber auch finanziell tragen kann, muss es richtig groß aufgezogen werden. Darum die Idee, das Projekt zu internationalisieren. Erste Anlaufstelle war Berlin.
Was war deine Aufgabe im Projekt?
Mein Auftrag war, mir in Amsterdam anzuschauen wie das Projekt aufgestellt ist, um etwas Ähnliches hier in Berlin aufbauen zu können. Ich hatte auch Termine in der Amsterdamer Stadtverwaltung, beim Senator für Soziales, der sehr interessiert an einer Partnerschaft mit Berlin war, insbesondere weil auch EU-Mittel in das Projekt fließen.
Ich sollte mir die Unterschiede in der Sozialarbeit zwischen den Niederlanden und hier anschauen. Einen Fachdialog auf Englisch zu führen, fiel mir schwer. Aber die Unterschiede auf der politischen Ebene fand ich sehr erfrischend: Ich hatte das Gefühl, dass die Basissozialarbeit viel näher am politischen Geschehen dran ist als in Deutschland. Die Politiker interessieren sich für die Meinung der „einfachen Sozialarbeiter“. Ich wurde beim Stadtrat ernstgenommen und angehört. Gleichzeitig gibt es eine sehr flache Hierarchie, sogar im Sozialamt wurde ich mit Du und Vornamen angesprochen.
Auch von dem Projekt „Rambler“ war ich sehr beeindruckt, denn das sind nur vier oder fünf Leute, die aber ein enormes Netzwerk haben. Dadurch arbeiten sie ganz anders als wir. Es ist gar nicht mehr das, was wir als Projekt bezeichnen, sondern eher ein soziales Unternehmen mit kommerziellem Hintergrund. Es erinnerte mich eher an die amerikanische Sozialarbeit als an die deutsche.
Bist du denn jetzt bereit, das Ganze auch in Berlin umzusetzen?
Auf jeden Fall! Das Mitarbeiteraustauschprogramm läuft noch bis Ende 2016. Das Berliner Studio ist in der Entstehungsphase: Wir haben ein Konzept geschrieben und einen Antrag für neue Fördergelder, der im September eingereicht werden kann. Dann müssen wir auf die Bewilligung warten, um loslegen zu können. Ich werde mich auf die Stelle der sozialpädagogischen Leitung des Projektes bewerben und hoffe darauf, das dann für die erstmal geplanten drei Jahre machen zu dürfen.
Hast du denn auch Freizeit gehabt, um dir Amsterdam anzuschauen?
Ich habe schon ziemlich viel gearbeitet: an vier Tagen die Woche war ich im Projekt oder habe die Netzwerkkontakte kennengelernt. Am fünften Tag habe ich die Informationen festgehalten und Rücksprache mit meiner Projektgruppe und dem Vorgesetzten in Deutschland gehalten. An den Wochenenden war ich manchmal mit den Amsterdamer Sozialarbeitern unterwegs oder habe Besuch von Freunden und Familie bekommen. Amsterdam ist eine schöne Stadt, es gibt viel zu sehen! Aber die zwei Monate waren auch sehr schnell herum. Es hat zwei Wochen gedauert, bis ich mich eingewöhnt hatte und damit klar kam, jeden Tag nur Englisch zu sprechen. Zur Weihnachtsfeier unseres Trägers war ich mit den Amsterdamer Kollegen hier in Berlin. Und danach war der Austausch schon fast vorbei!
Welches Fazit ziehst du?
Ich hätte mir niemals vorgestellt, dass ich in meinem Beruf als Sozialarbeiter eine solche Chance bekommen würde. Sozialarbeit ist ja sonst sehr lokal. Ich kann nur jedem raten, ins Ausland zu gehen, wenn sich ihm die Möglichkeit bietet. Im sozialen Bereich geschieht das viel zu wenig. Warum sollten nur Wirtschaftsunternehmen aus verschiedenen Ländern voneinander lernen können? Ich finde, das funktioniert im sozialen Bereich genauso gut.
Vielen Dank, Ben!