Mit ihrem Street Art Bild „Was ich kann: Herz zeigen“ hat Sabine Giesa (28) unser erstes Voting gewonnen. Heute lernt ihr sie kennen: Eine junge Frau, die mit Riesenschritten den Weg von der Praktikantin zur Leiterin der Ev. Trinitatis-Kindertageseinrichtung Bochum gegangen ist. Die Durchstarter-Story von Sabine Giesa fängt damit an, dass sie ein paar Wochen vor den Abiturprüfungen die Schule schmiss. „Ich hab mir gedacht, die Matheprüfung besteh‘ ich sowieso nicht, Fachabitur reicht auch“, erzählt die heute 28jährige, „Ich wollte lieber praktische Erfahrungen sammeln, um mir besser vorstellen zu können, wie ich die nächsten 50 Jahre meines Lebens verbringen will.“
Sabine zog zu Hause aus – und musste ab sofort selbst für ihren Lebensunterhalt sorgen. Sie jobbte in einem Modegeschäft und überlegte, ob der Einzelhandel wohl was für die Zukunft wäre. Nebenbei organisierte sie sich ein einjähriges Praktikum in einer Kita – vielleicht war was Soziales auch nicht schlecht? „Ehrlich gesagt hab‘ ich ziemlich naiv gedacht, der Job in der Kita ist nicht so anspruchsvoll, da muss ich mich nicht so anstrengen“, gesteht Sabine heute. So tickt man halt mit achtzehn: Bloß nicht den Ernst des Lebens zu schnell an sich ranlassen!
Sabine Giesa wirkt offen, fröhlich und unkompliziert. Bei jedem Satz, den sie spricht, liegt ihr das Lächeln in der Stimme. Mit ihren langen, schoko-braunen Haaren, Rehaugen, perfekt gezupften Augenbrauen und den Piercings im Gesicht sieht sie tatsächlich eher nach Modewelt aus als nach Kita. Wenn man das Klischee bemüht. Wenn man mal ne Minute nachdenkt, ist natürlich klar: Es steht in keinem Gesetzbuch der Welt, dass Erzieher/innen grundsätzlich mit Sackklamotten, Jesuslatschen und Struwwelmähne durch die Gegend laufen müssen. Wie überhaupt so vieles, was man über den Erzieherberuf denkt, nicht stimmt. Wenig anspruchsvoll und unanstrengend ist er schonmal überhaupt nicht, das hat Sabine schnell kapiert. „Ich hab gemerkt, hier bin ich voll gefordert, kann aber auch wirklich was bewegen und bekomme unendlich viel zurück! Als ich neulich krank war, hat mich ein Kitakind zu Hause angerufen und gefragt, wo ich denn bleibe. Ich bekam sogar ‚Genesungspost‘! Das ist schon toll, wenn die Kinder dich vermissen und sich umgekehrt auch mal um dich sorgen. “
In der Ev. Trinitatis-Kindertageseinrichtung Bochum, in der Sabine heute Kitaleiterin ist, haben über 86% der Kinder einen Migrationshintergrund. Sie kommen aus 17 verschiedenen Ländern! Erzieher zu sein heißt da nicht nur Windeln wechseln und verstecken spielen. Sabine lernt andere Kulturen kennen und hilft ausländischen Familien dabei, sich in Deutschland zu integrieren, ohne ihre Wurzeln aufzugeben. „Das ist ein Spagat“, erzählt die 28jährige, „Wir sind eine konfessionelle Kita und wollen christliche Werte vermitteln, gleichzeitig aber tolerant gegenüber anderen Religionen sein. Zum Glück sind gerade die Eltern aus anderen Nationen unheimlich offen und engagiert. Wir überlegen zusammen wie wir’s machen.“ Im Kita-Alltag heißt das: Die christlichen Feste wie Ostern, Erntedank und Weihnachten werden gefeiert. Vor dem Essen wird gebetet. Aber: Auch das Bayramfest kann gefeiert werden. Und wenn ein türkisches Kind beim Beten nicht die Hände falten darf, dann achten die Erzieher aus Wertschätzung vor der anderen Kultur auch darauf, dass es das nicht tut.
Die Ev. Trinitatis-Kindertageseinrichtung ist eine integrative Kita. Das heißt, in die 2 Gruppen mit insgesamt 45 Kindern gehen auch drei Kinder mit Behinderung. Eins ist schwerst mehrfach behindert. Diese Kinder so zu fördern wie sie es brauchen und sie trotzdem zur Gruppe gehören zu lassen, ist nochmal eine ganz andere Herausforderung. Auch da ist der Erzieher gefragt!
Sabine Giesa hat sich, nachdem sie den Beruf von seinen verschiedenen Seiten kennengerlent hatte, für eine Erzieherausbildung entschieden. Weil sie danach nicht direkt eine Vollzeitstelle fand und noch mehr über Pädagogik wissen wollte, hat sie „Elementarpädagogik“ an der Ev. Fachhochschule Bochum studiert. „Das kann ich nur empfehlen!“, schwärmt Sabine, die in ihrer Freizeit gerne tanzen und shoppen geht und so oft wie möglich mit ihren Freunden unterwegs ist. „Man lernt viel über sich selbst und sammelt viel wissenschaftliches Hintergrund-Know How über den Menschen und seine Entwicklung. Dadurch bin ich in meinem Beruf wirklich selbstbewusster geworden.“ Zwar war das Studium keine leichte Zeit für Sabine. Weil sie nach wie vor Geld verdienen musste, hat sie zuerst 10, später bis zu 34 Stunden die Woche nebenbei in „ihrer“ Kita gearbeitet – als Integrationskraft. Das ist eine Erzieherin, die sich um die Kinder mit Behinderung kümmert. „Ich habe eine Zeit lang mein Privatleben geopfert. Aber wenn ich sehe, wo ich jetzt bin, war es das wert!“, sagt Sabine. Nach dem Bachelor hatte sie, damals 27 Jahre alt, gerade mit dem Masterstudium „Soziale Inklusion“ an der Ev. Fachhochschule Bochum angefangen, als die Stelle der Kitaleitung frei wurde.
Seit 7 Monaten ist Sabine nun Chefin. Sie übernimmt Leitungsaufgaben, arbeitet aber auch immer noch ganz normal als Erzieherin in der Gruppe. Vom Masterstudium hat sie sich nach Abschluss des ersten Semesters beurlauben lassen. Weder Sabine selbst noch die Kolleginnen hatten damit gerechnet, dass ausgerechnet die jüngste von ihnen mit ihrer Bewerbung erfolgreich sein würde! „Das war eine Riesenumstellung für mich – von der Integrationskraft zur Führungskraft“, erinnert sie sich, „Der übliche Zwischenschritt als Gruppenleiterin hat mir schon ein bisschen gefehlt.“ Andererseits hat sich Sabine ziemlich schnell an die neuen Aufgaben gewöhnt und die Vorteile zu schätzen gelernt: „Als Erzieherin habe ich oft gedacht: Och, das würde ich aber anders machen, wenn ich Chefin wäre. Und jetzt bin ich Chefin und kann meine Ideen umsetzen – das ist toll!“
Als erstes großes Projekt hat Sabine die Familienarbeit in ihrer Kita ausgebaut. Jetzt werden regelmäßig Elternbriefe verschickt, ein Elterncafé ist eingerichtet und eine Mutter, deren Kind alle fünfzehn Minuten Medikamente braucht, darf den ganzen Tag als Hospitantin in der Kita dabei sein. Bei diesem Projekt haben alle Erzieherinnen mitgezogen. Bei anderen Ideen muss Sabine schonmal länger diskutieren. „Wir haben hier ein multiprofessionelles Team, da geht jeder anders an bestimmte Aufgaben ran. Was natürlich auch bereichernd ist“, erzählt sie, „ Aber für mich ist es momentan noch schwer, auch mal unbeliebte Entscheidungen treffen zu müssen und nicht immer Everybody’s Darling zu sein.“
Sabine sagt, der Beruf, in den sie eher zufällig geraten ist, ist für sie zur Berufung geworden: „Ich möchte nichts anderes mehr machen!“ Trotzdem heißt das jetzt nicht: die nächsten 50 Jahre derselbe Trott. Da ist immer noch das auf Eis gelegte Masterstudium, das Sabine irgendwann berufsbegleitend zu Ende machen will. Und gerade hat sie mit Erfolg beantragt, ihre Kita auch für unter 3jährige öffnen zu dürfen. Die Politiker haben erkannt wie wichtig es ist, Kinder so wie früh wie möglich zu fördern und Bildung für sie möglich zu machen. Für die unter Dreijährigen sollen darum in den nächsten Jahren viele neue Kitaplätze eingerichtet werden. Auch in der Ev. Trinitatis-Kita werden ab Sommer ein paar ganz kleine Kinder rumhüpfen. Das bedeutet für die Erzieher: neue Aufgaben, neue Herausforderungen, neue Ideen. Ideen hat Sabine überhaupt so viele, dass sie sich manchmal bremsen muss: „Ich hab neulich mal nachgezählt, wir haben in den letzten Monaten 12 Projekte an den Start gebracht! Das ist wohl ein bisschen viel auf einmal. Die werden wir eins nach dem anderen angehen müssen.“ Für die nächsten Jahre hat die junge Kitaleiterin jedenfalls genug zu tun.
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