Altenpflege auf Japanisch: Ich hatte Pflegeroboter erwartet!

Judith Niebel (zweite von rechts, weiße Bluse) diskutiert mit japanischen Kollegen

Judith Niebel (zweite von rechts, weiße Bluse) diskutiert mit japanischen Kollegen

Judith Niebel (30) hat Gesundheits- und Krankenpflegerin gelernt, danach Pflegemanagement studiert, als Pflegedienstleitung gearbeitet und ist inzwischen Assistentin der Geschäftsführung der Evangelischen Heimstiftung in Stuttgart. Eine steile Karriere! Im Rahmen eines internationalen Austauschprogramms hatte sie nun sogar  die Gelegenheit, die japanische Altenpflege kennen zu lernen.

Manch einer hat, wenn er Japan hört, Bedenken wegen des Essens. Den ganzen Tag Sushi und Sashimi? Aber Judith Niebel sagt, sie sei experimentierfreudig. Außerdem seien bereits Freunde von ihr in Japan gewesen und hätten ihr den Tipp gegeben: „Frag nicht, was das auf deinem Teller ist, sondern probier es einfach!“. Und daran hat sie sich dann auch gehalten: „Ich habe sogar Kugelfisch gegessen und erst hinterher erfahren, was es war. Hat gut geschmeckt!“ Eins hat die 30jährige gelernt: Man kann auch Hamburger oder sogar Suppe mit Stäbchen essen!

Japan hat, weil es ein Inselstaat ist, keine direkten Nachbarn. Darum hat die Regierung verschiedene Austauschprogramme ins Leben gerufen, um trotzdem internationale Kontakte herzustellen und zu pflegen. Im Rahmen des „Young  Core  Leaders  of  Civil  Society  Groups Development Program“ werden junge Führungskräfte der Jugendhilfe, Altenhilfe und Behindertenhilfe aus verschiedenen Ländern nach Japan eingeladen. „Als mein Chef fragte, ob ich nicht Lust hätte, mich zu bewerben, hab ich erst gedacht: ‚Oh je, ob mein Schulenglisch da ausreicht?‘“, erzählt Judith Niebel. Schon die vierseitige Bewerbung musste komplett in der Fremdsprache verfasst werden! Doch ihre Bewerbung hatte Erfolg – und am 4. Februar 2013 ging‘s los.

internationale Gruppenarbeit 2In der ersten Woche ihres Japanaufenthalts war das „NPO Management Forum“ in Tokio angesagt. Gemeinsam mit japanischen, dänischen und britischen Kollegen diskutierte Judith Niebel zum Thema: Wie kooperieren in Europa beziehungsweise Japan Non-Profit- Organisationen miteinander, mit der freien Wirtschaft und der lokalen Bevölkerung? Sie berichtete zum Beispiel, wie es abläuft, wenn die Evangelische Heimstiftung mit einem anderen Altenhilfeträger gemeinsam ein Projekt auf die Beine stellt. „Bei uns ist es doch so, dass spätestens nach der zweiten Arbeitsgruppensitzung die Ziele des Projekts feststehen sollten. Wenn es Uneinigkeiten gibt, wird per Handzeichen abgestimmt. Die Japaner aber diskutierten beim Management-Forum so lange, bis wirklich jeder hundertprozentig mit den formulierten Zielen einverstanden war. Wenn es sein musste, zehn Sitzungen lang. Grund ist die japanischen Kultur, in der es sehr wichtig ist, dass niemand ‚sein Gesicht verliert‘.“ 

In der zweiten Woche ging es dann in die Praxiseinrichtungen. Judith Niebel hat mit ihrer Gruppe ein Pflegeheim für Demenzkranke besucht, das sich kaum von unseren deutschen Einrichtungen  unterschied. Außerdem ein Kleinstpflegeheim mit neun Plätzen in der stationären Dauerpflege und 15 Plätzen in der Tagespflege. „Die Zimmer waren viel kleiner als bei uns, es hatte auch nicht jeder Bewohner sein eigenes Bad“, hat die junge Frau beobachtet. Ansonsten hätten die Fachkräfte in Japan ähnliche Herausforderungen zu bewältigen wie bei uns: zum Beispiel die Arbeit mit Demenzkranken. Auch die Überalterung der Gesellschaft, die in Deutschland ebenfalls bevorsteht, hat in Japan, insbesondere auf dem Land, schon deutlich eingesetzt: 26,3 % der Bevölkerung in der ländlichen Präfektur Tottori, die die Austauschgruppe besuchte, sind älter als 65 Jahre. Einer der Gründe ist der, dass die jungen Leute auf Arbeitssuche in die Großstädte abwandern und ihre pflegebedürftigen Eltern auf dem Land zurücklassen. 

„Wir kennen Japan aus den Medien als Land der Technik und Unterhaltungselektronik. Demnach hatte ich mindestens ein paar Pflegeroboter erwartet“, erzählt Judith Niebel, „Aber tatsächlich gab es in beiden besichtigten Pflegeheimen viel weniger Technik als bei uns. Schon ein Rollstuhl oder ein Lifter galten als Technik und wurden von den Fachkräften eher kritisch betrachtet.“ In der Evangelischen Heimstiftung, in der die 30jährige als Assistentin der Geschäftsführung arbeitet, wird derzeit Paro getestet. Das ist ein Roboter in Gestalt einer Kuscheltier-Robbe, der bei der Betreuung von Demenzkranken eingesetzt wird. Paro knurrt behaglich, wenn er gestreichelt wird, und lächelt zurück, wenn er angelächelt wird. Er kommt aus Japan – doch die japanischen Altenpflegekräfte können ihm nicht viel abgewinnen. „Diese Abneigung gegen technische Hilfsmittel wird sich aber bestimmt ändern, wenn der Fachkräftemangel in der Pflege auch in Japan einsetzt“, glaubt Judith Niebel. „Im Moment war davon noch nichts zu spüren, aber ich bin mir relativ sicher, er wird auch dort kommen.“

Zurück in Deutschland bleiben ihr viele Fotos und Erfahrungen, die  die Arbeit in der Altenhilfe in Deutschland aus einer ganz anderen Perspektive beleuchten.