Diakonie-Gütesiegel Familienorientierung: „Gütesiegel sichert Familien Verbindlichkeit zu“

15 diakonische Träger aus Bayern tragen das „Diakonie-Gütesiegel Familienorientierung“. Was es Arbeitnehmern und Arbeitgebern zusichert, erklärt Renate Zeilinger vom Diakonischen Werk Bayern.

Was ist das „Diakonie-Gütesiegel Familienorientierung“ und welche Vorteile bietet es Arbeitgebern, Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen?

Renate Zeilinger, Diakonisches Werk Bayern

Renate Zeilinger: Für diakonische Arbeitgeber ist das Gütesiegel in erster Linie ein Instrument, um sich sowohl nach innen als auch außen familienfreundlich zu präsentieren. Es trägt wesentlich dazu bei, die Familienorientierung in der Personalpolitik zu verankern und umzusetzen. Das Gütesiegel bietet einen Imagegewinn und einen Wettbewerbsvorteil: Heutzutage ist Familienfreundlichkeit bei der Wahl des Arbeitgebers ein wichtiger Entscheidungsfaktor und steht häufig sogar noch vor dem Wunsch nach einem höheren Gehalt! Den Mitarbeitenden garantiert das Gütesiegel eine familienfreundliche Unternehmenskultur und damit einen Arbeitgeber,  der offen ist für die Belange von Mitarbeitenden mit Familienaufgaben und bereit ist, Mitarbeitende bei der besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu unterstützen. Die Arbeitgeber, die das Gütesiegel verliehen bekommen, verpflichten sich, Familienorientierung in ihre Personalpolitik aufzunehmen und bestimmte Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf umzusetzen.

Welche Kriterien müssen erfüllt werden, damit das Gütesiegel vergeben wird?

Zeilinger: Es gibt ein paar allgemeine Kriterien: Die konkreten Maßnahmen dürfen sich zum Beispiel nicht nur an Mitarbeitende mit Kindern richten, sondern müssen auch Mitarbeitende  mit pflegebedürftigen Angehörigen einschließen, Frauen und Männer gleichermaßen berücksichtigen und alle Arbeitsfelder des Arbeitgebers mit bedenken. Die Entwicklung und Umsetzung geschieht in enger Zusammenarbeit mit der Mitarbeitendenvertretung.
Darüber hinaus gibt es 8 Maßnahmenbereiche: Arbeitszeit, Arbeitsort, Arbeitsorganisation, Leitung und Führung, Personal- und Teamentwicklung, Kommunikation und Information, Serviceangebote sowie Entgeltbestandteile und geldwerte Leistungen – in denen 14 konkrete Maßnahmen umgesetzt werden müssen. Uns ist es wichtig, dass diese Maßnahmen über die ohnehin gesetzlichen Vorschriften hinausgehen. Ebenso muss das Familienbudget gemäß AVR-Bayern familienbezogen verwendet werden.

Das Gütesiegel wird jeweils für 3 Jahre verliehen. Danach wird geprüft, welche der Maßnahmen noch Bestand und welche sich nicht bewährt haben. Es wird resümiert, was wirklich gebraucht wird und in den Arbeitsalltag mit einbezogen werden kann –  die Maßnahmen sollen bedarfsgerecht sein und nicht nur auf dem Papier gut aussehen! Wichtiges Kriterium bei der Verlängerung des Gütesiegels ist die kontinuierliche Weiterentwicklung der Familienorientierung. Feedbackgespräche und ein Erfahrungsaustausch im Rahmen der Treffen der Zertifikatsträger helfen, das Gütesiegel kontinuierlich weiterzuentwickeln und zu optimieren.

Wo sehen Sie im Berufsleben konkret Probleme, der Familie neben einem Vollzeitjob gerecht zu werden?

Zeilinger: Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist grundsätzlich  eine sehr große Belastung und Herausforderung, insbesondere für Alleinerziehende. Für Eltern  sind daher   verlässliche Betreuungsangebote wie zum Beispiele ausreichend und qualitativ hochwertige Kitas sehr wichtig. Ebenso wichtig sind beispielsweise Tagespflegeangebote und ambulante Hilfen, die die Familien entlasten, die einen Angehörigen pflegen.

Bei  Arbeitgebern muss weiterhin das Bewusstsein für Mitarbeitende, die Familie und Beruf vereinbaren wollen beziehungsweise müssen, geschaffen und gefördert werden – insbesondere dafür, was Mitarbeitende mit Familienaufgaben wirklich brauchen. Mit Schulungen zum Beispiel kann man Führungskräften in ihrer Aufgabe, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf umzusetzen, unterstützen und vermitteln, welche Möglichkeiten es gibt,  Mitarbeitende zu entlasten. Für viele Führungskräfte ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf Neuland und unsicheres Terrain; sie befürchten häufig negative Auswirkungen im Berufsalltag. Best Practice Beispiele können aufzeigen, welche zahlreichen Möglichkeiten es gibt, Mitarbeitende bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu unterstützen, wie zum Beispiel in Notfallsituationen entsprechend zu agieren.

Häufig ist nicht im Blick, dass sich ein Familienalltag nicht immer  planen lässt und Spontanität gefragt ist. Die Herausforderung für Arbeitgeber ist daher, individuell auf die Situationen der Mitarbeitenden mit Familien eingehen zu können – ohne den Blick auf die beruflichen Erfordernisse aus den Augen zu verlieren!

Was fordern Sie von Bund und Ländern, um Familien bei der Vereinbarkeit besser zu unterstützen?

Zeilinger: Insbesondere in zwei Bereichen gibt es noch Schwachstellen: Einerseits geht es um eine familienfreundliche Zeitpolitik. Dazu zählt beispielsweise, die Elternmonate weiter auszubauen. Eine wirklich gute Sache ist das ElterngeldPlus. Auch die Unterstützung in Notfallsituationen muss ausgebaut werden: Ein gutes Beispiel dafür sind die sogenannten “Mehrgenerationenhäuser“ und die “Bündnisse für Familien“.  Sie haben sich bereits als Erfolgsmodell bewährt. Leider ist die Finanzierung der Mehrgenerationenhäuser  zwar für 2015, jedoch noch nicht nachhaltig gesichert. Eine wesentliche Forderung an Bund und Ländern ist daher, die Finanzierung von niederschwelligen Angeboten allgemein und nachhaltig zu regeln.

Andererseits ist es wichtig, Rahmenbedingungen zu schaffen, Erwerbstätigen, die Familienaufgaben übernehmen, auch finanzielle Rahmenbedingungen zu schaffen, die die Vereinbarkeit von Familie und Beruf besser ermöglichen: Eine weitere wesentliche Forderung ist daher mehr finanzielle Leistungen für alle, die bei der Betreuung von Kindern, Jugendlichen und pflegebedürftigen Angehörigen Verantwortung übernehmen. Dringend erforderlich sind daher weitere gesetzliche Grundlagen: Elterngeld und Elternzeit sind das Eine, unbedingt ausgebaut  werden müssen auch die Pflegezeit und Familienpflegezeit für pflegebedürftige Angehörige. Die bisherigen Regelungen sind zwar schon Schritte in die richtige Richtung, bedeuten jedoch in der derzeit bestehenden Form für Familien in der Regel erhebliche finanzielle Einbußen und Unsicherheiten. Generell liegt der Fokus bei vielen Maßnahmen nach wie vor mehr auf Familien mit Kindern. Familien, die einen Angehörigen pflegen, werden oft noch nicht in den Blick genommen!

Die Sicherung des Arbeitsplatzes und des Einkommens –  beispielsweise bei einer vorübergehenden Auszeit aufgrund familiärerer Aufgaben –  könnte  Mitarbeitenden die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erleichtern. Zudem ist nicht mehr ganz zeitgemäß, dass staatliche Leistungen oft an der Ehe beziehungsweise Lebenspartnerschaft festgemacht werden. Alleinerziehende beispielsweise profitieren deshalb deutlich weniger von den bestehenden Leistungen. Die Ergebnisse der vom Bundesfamilien- und -finanzminsterium gemeinsam in Auftrag gegebenen Gesamtevaluation der ehe- und familienbezogenen Leistungen liegen zwischenzeitlich vor und lassen in vielerlei Hinsicht Handlungsbedarf erkennen. Es wäre wichtig, bei der Neugestaltung der unterstützenden Leistungen für Familien die unterschiedlichen Lebenssituationen von Familien umfassender und bedarfsgerechter zu berücksichtigen.

Interview: Diakonie/Melanie Zurwonne