Manche Kinder können nicht mal einen Apfel aufschneiden: Tim wird Jugend- und Heimerzieher

Wenn Tim (20) erzählt, welchen Beruf er lernt, kennt den erstmal keiner. Darum erklären wir euch in verschiedenen Texten, was ein Jugend- und Heimerzieher ist:

  • Im Experteninterview berichtet Schulleiterin Dr. Elke Steinbacher von der Fachschule für Sozialwesen der Sophienpflege in Tübingen darüber, wie sich der Heimerzieher vom „normalen“ Erzieher unterscheidet und wie sich der Beruf in den letzten Jahren verändert hat.
  • Im Berufeportrait auf soziale-berufe.com haben wir die wichtigsten Infos und Erfahrungen von Tim und Schulleiterin Elke Steinbacher zusammengefasst. Wir drehen auch gerade einen Film über den Heimerzieher, den ihr dann dort sehen könnt.
  • Und dann haben wir noch einen zweiten Erfahrungsbericht von Jugend- und Heimerzieher-Azubi Marco, der sagt: „Ich kenne beide Seiten“, denn ich bin selbst mit 17 freiwillig ins betreute Jugendwohnen gegangen
  • Berufetest: Passt der Beruf Jugend- und Heimerzieher zu mir?

Und hier im Interview erzählt Tim, warum er sich für diesen Beruf entschieden hat und wie es so in der Ausbildung läuft:

IMG_3994Wie kam es, dass du dich für diesen Beruf entschieden hast, Tim?

Nach dem Abi war ich erstmal sechs Monate mit einem „Work & Travel“-Visum in Australien, weil ich nicht sicher war, was ich machen wollte. Mir war klar, ich wollte nicht mit Kleinkindern arbeiten, also kam der Erzieher nicht infrage. Und ich wollte Praxisnähe, also nicht studieren. Im Internet habe ich dann über den Jugend- und Heimerzieher gelesen. Man muss ein sechswöchiges (mit Realschulabschluss ein zwölfmonatiges) Vorpraktikum machen, das habe ich in der mobilen Jugendhilfe gemacht. Das ist ein Beratungsbüro, wo Jugendliche mit ihren Problemen hinkommen können. Manche waren straffällig geworden und wollten wissen, was jetzt passiert. Andere brauchten einen Kontakt zu einer Suchthilfestelle oder Hilfe beim Bewerbung Schreiben. Mir hat das Spaß gemacht, weil man sieht, wie man den Menschen helfen kann und weil jeder Tag was Neues bringt. Darum habe ich die Ausbildung angefangen.

IMG_3997Was hast du schon für Erfahrungen gemacht?

Im ersten Jahr hatte ich Schule und ein viermonatiges Blockpraktikum. Da war ich in einer Tagesgruppe in Reutlingen mit Kindern zwischen 7 und 15 Jahren. Die kamen nach der Schule zu uns und wurden bis um 17 Uhr betreut, es gab Mittagessen, Hausaufgabenbetreuung und danach Angebote wie Fahrradtouren oder Fußballspielen. Jetzt im zweiten Ausbildungsjahr leite ich mit einem Azubi-Kollegen eine Koch-AG in einer Realschule in Dusslingen. Wir wechseln jeden Monat das Land oder das Thema. Wir hatten schon deutsches Essen und weihnachtliches Essen. Wir fragen auch, was sich die Kinder wünschen und schauen, ob sich das realisieren lässt. Im dritten Ausbildungsjahr mache ich mein Anerkennungspraktikum in einer Wohngruppe.

Woher kannst du denn kochen?

Das hab ich in Australien gelernt, da musste ich mich ja selbst versorgen! Wir haben Kinder in der Gruppe, die kennen nur Fast Food und können nicht mal einen Apfel aufschneiden. Aber auch Kinder, die schon echt gut kochen können, weil sie das zu Hause auch machen.

Nehmen die Kids dich ernst?

Am Anfang war meine Sorge, dass sie mich nicht ernst nehmen. Teilweise sind sie auch wirklich aufmüpfig, vor allem die älteren. Die jüngeren machen eher Quatsch. Am Anfang gab es auch viele Situationen, wo die Kinder nicht so begeistert von unseren Kochideen waren und gleich gemeckert haben. Aber das ist dann relativ schnell verflogen. Wenn sie dann doch mitmachen, es ihnen schmeckt und sie nachher sogar nach dem Rezept fragen, dann motiviert mich das total!

Was hast du nach der Ausbildung vor?

Erstmal ein paar Jahre in einer Wohngruppe arbeiten. Was dann kommt, weiß ich noch nicht.

Hast du einen Tipp für junge Leute, die sich für deinen Beruf interessieren?

Es muss einem von vorne herein liegen. Man muss mit heftigen Fällen umgehen können, ohne dass man das zu sehr an sich ranlässt. Ich glaube nicht, dass man das lernen kann, das hat man oder nicht. Ich kann gut differenzieren: Wenn ich nach Hause komme, lasse ich die Arbeit Arbeit sein. Ich möchte die Kinder nicht alle adoptieren.