Wer mit Kindern und Jugendlichen arbeitet, die Schlimmes durchgemacht haben oder sich einfach nicht an Regeln halten wollen, kommt als Erzieher an seine Grenzen. Darum bietet die Fliedner FH in Düsseldorf-Kaiserswerth ab Herbst 2015 einen neuen Masterstudiengang Intensivpädagogik an, in dem man lernt, auch in solchen Fällen richtig zu reagieren. An wen der sich richtet und was er beinhaltet, darüber haben wir für euch mit Rektorin Prof. Dr. Marianne Dierks gesprochen:
Frau Prof. Dierks, es gibt doch schon so viele Erziehungsstudiengänge (Bildung und Erziehung in der Kindheit, Hortpädagogik, etc.) – warum brauchen wir noch einen?
Es gibt in Nordrhein-Westfalen 70 intensivpädagogische Gruppen für Kinder und Jugendliche, die als besonders „schwierig“ gelten. Es gibt aber keine Qualifikation, die die Mitarbeiter, die dort arbeiten, auf ihren Einsatz vorbereitet. Normalerweise arbeiten dort Sozialarbeiter oder Sonderpädagogen. Aber die herkömmlichen pädagogischen Konzepte, die sie im Studium erlernt haben, reichen nicht aus. Die Kinder und Jugendlichen in diesen Gruppen müssen sozialverträgliches Verhalten lernen, sie brauchen eine zusätzliche besondere Ansprache, Hilfe zur besseren Lebensbewältigung und Stabilisierung der Vertrauensbeziehung.
Die Anfrage, ob wir hier nicht eine Qualifikation anbieten könnten, die das alles vermittelt, kam aus der Praxis, also aus unseren eigenen intensivpädagogischen Gruppen. Und wir haben gedacht, wir können unsere Mitarbeiter doch nicht mit ihrer Überforderung alleine lassen! Wir wollen ein Ort sein, an dem zur Intensivpädagogik geforscht wird, an dem sie weiterentwickelt wird. Unsere Studierenden können daran mitarbeiten, sie weiterzuentwickeln.
An wen richtet sich der neue Studiengang und wie ist er aufgebaut?
Man braucht einen Bachelor Soziale Arbeit, Heilpädagogik, Sonderpädagogik, Allgemeinpädagogik oder Psychologie, um den Master Intensivpädagogik draufzusetzen. Auch wer zum Beispiel einen Bachelor in Bildung und Erziehung in der Kindheit hat und in einer Kita oder einem Jugendhaus in einem sozialen Brennpunkt Kinder und Jugendliche betreut, die hochaggressiv, straffällig oder autoaggressiv sind, kann seine Kompetenzen bei uns erweitern. Der Studiengang ist berufsbegleitend angelegt und beinhaltet z.B. die rechtlichen Bedingungen und theoretischen Grundlagen der intensivpädagogischen Arbeit. Im Profilbereich können die Studierenden wählen, ob sie eher in Richtung Einrichtungsleitung oder Freizeitpädagogik gehen wollen. Mit dem Masterabschluss Intensivpädagogik muss man aber nicht unbedingt in einer Intensivpädagogischen Gruppe arbeiten. Auch in jeder Regelinstitution gibt es Kinder mit besonderem Bedarf, die besonders betreut werden müssen.
Welche Maßnahmen gibt es denn beispielsweise, die ein Intensivpädagoge anwenden kann, wenn der Erzieher nicht mehr weiter weiß?
Der Intensivpädagoge lernt zu unterscheiden, warum ein junger Mensch die Kooperation verweigert. Verweigert er die Kooperation, um z.B. zu provozieren, oder ist er in Not? In Not zu sein, bedeutet: Der junge Mensch macht nicht das, was man von ihm notwendig erwartet, weil er es einfach nicht kann. Weil durch ein Trauma, das er erlitten hat, Ängste hochkommen oder Ähnliches. Dann muss man ihm bei der Bewältigung dieses Traumas oder dieser Ängste helfen. Wenn er aber provoziert, also einfach keine Lust hat, auf seine Erzieher zu hören, muss der Intensivpädagoge ihn steuern können, ohne handgreiflich zu werden. Dr. Menno Baumann, der unseren Studiengang Intensivpädagogik leiten wird, erzählte mir von einem Fall, in dem ein Junge einen so genannten „Vertrag“ mit Regeln und Zielen, den die beiden abgeschlossen hatten, nicht eingehalten hat. Für Dr. Baumann war ganz klar: Der Junge ist nicht in Not. Seine intensivpädagogische Maßnahme war es nun, einen 10km-Marsch mit dem Jungen zu machen und währenddessen mit ihm zu reden. Und dabei ist der Junge dann aufgetaut. Solche kreativen Lösungen braucht es in der Intensivpädagogik, um die „schwierigen“ Jugendlichen zu packen. Es gibt da aber keine Maßnahme, die für alle passt. Der Intensivpädagoge braucht eine ausgeprägte Sensibilität, um zu erspüren, was los ist. Und er braucht ein theoretisches Hintergrundwissen zu Themen wie abweichendes Verhalten, Resilienz und vielen mehr.
Wenn man solche „schwierigen Jugendlichen“ in intensivpädagogische Extra-Gruppen steckt, läuft das nicht dem Konzept der Inklusion zuwider, die alle zusammenbringen will?
Inklusion bedeutet nicht einfach, vermeintlich „schwierige“ Kinder mit vermeintlich „normalen“ Kindern zusammenzustecken und darauf zu vertrauen, dass das gut geht. Für Inklusion muss man ein Kind erst befähigen, manche müssen erst wieder lernen, sich in Gruppen sozial zu verhalten, bevor man sie in Gruppen eingliedern kann. Es geht nicht darum, die Intensivkinder auszugrenzen, sondern darum, ihnen bei der Wiedereingliederung zu helfen.
Vielen Dank, Frau Prof. Dr. Marianne Dierks von der Fliedner FH in Düsseldorf-Kaiserswerth! Mehr Infos zum neuen Masterstudiengang Intensivpädagogik findet ihr hier. Bewerben könnt ihr euch ab sofort!