„Driving home for christmas…” singt Chris Rea aus dem Radio. Es ist Mittwochmorgen, 6.30 Uhr irgendwann, mitten im Dezember – Backtag. Während im Fernsehen die neusten Weihnachtsspots mit rotwangigen, backenden Kindern laufen, haben einige Patienten die heimische Küche das letzte Mal vor Wochen gesehen. „With a thousand memories” dudelt die Musik. Ich denke an die Blutentnahmen, Spritzen und Operationen, die die Patienten hinter sich haben. Das sind ihre tausend Erinnerungen an das Krankenhaus. Heute kommt eine weitere hinzu. Ich knete unsere Geheimwaffe – den Zitronenplätzchenteig.
Backe-Backe Plätzchen
Um 9.00 Uhr sind wir zu acht im Spielzimmer versammelt. Fünf Patienten, der Heilerziehungspfleger, die Ergotherapeutin und ich. Das kleine Zimmer gleicht einem Labyrinth, aus Tisch und Rollstühlen. Die Patienten, mit den wir heute backen wollen, sind nicht die typischen „Back-Backe-Kuchen Kinder“ aus der Dr. Oetker-Werbung. Sähe man sie auf der Straße, würde man ihnen nicht zutrauen, Plätzchen auszustechen. Plätzchenbacken = Mission Impossible? Die Patienten können ihre Arme zwar nur schwer bewegen, aber mit ein bisschen Einfallsreichtum werden auch hier Plätzchen entstehen.
Mission Possible – Blind den Teig ausrollen
Jonas* sitzt im ganzen Rollstuhl-Tisch-Labyrinth am nächsten am Tisch. Unter der Anleitung des Heilerziehungspflegers beginnt er den Teig auszurollen. „Ein bisschen weiter links. Jetzt etwas stärker drücken“ sagt der Heilerziehungspfleger. „Der Teig darf aber nicht zu dünn werden, sonst verbrennt er“ antwortet Jonas. Nach einigen weiteren Anweisungen liegt eine halbwegs gleichmäßige Teigfläche auf dem Tisch. Jonas tastet nach einem Förmchen. „Na, was ist das?“ fragt der Heilerziehungspfleger. Jonas fährt mit seinen Fingern langsam die Konturen des Förmchens ab. „Ein Mond!“ sagt er und beginnt lauter kleine Teig Monde auszustechen.
Anleitung unter Handleitung
Währenddessen rolle ich eine weitere Teigfläche aus. Matthias* strahlt mich mit seinen großen blauen Augen an. Damit er das erste Plätzchen ausstechen kann versuche ich ihn an den Tisch zu manövrieren. Doch der Rollstuhl ist zu sperrig und das Zimmer zu klein.
Trotzdem reißt der 23-Jährige den Mund auf und lacht. Er freut sich darauf, mitzumachen. „Guck mal, Matthias“, sage ich. „Hier haben wir ein Herz. Hast du Lust ein Plätzchen auszustechen?“. Unter der Führung meiner Hand versuchen wir gemeinsam den Teig auf dem Tisch zu erreichen. Keine Chance. Matthias kann seinen Arm nicht weit genug ausstrecken. Ein Tablett ist die Lösung. Langsam beugt Matthias seinen Arm. Mit seiner Handkante erreichen wir gemeinsam das Förmchen. „Hau’ rein!“, sagt der Heilerziehungspfleger. Matthias lacht weiter. Unter der Führung meine Hand stechen wir zwei Herzen aus. „Toll gemacht!“ sage ich.
Nichts ist perfekt
Mit meinem mobilen Tisch schlängele ich mich durchs Rollstuhl-Labyrinth. Patient nach Patient sticht mit meiner Hilfe Plätzchen aus. Wir produzieren einen doppelten Weihnachtsmann und ein Rentier ohne Geweih. Toni* bewegt seine Hand ruckartig auf den Teig hinunter. Ein Stern ist erfolgreich ausgestochen, der direkt daneben aber hat ein Loch. „Toll, denn können wir später aufhängen.“ sage ich.
Während unserer Backstunde entstehen keine Werbungsplätzchen. Perfekt ist das Chaos, in dem Lola* mit dem Kopf zur Musik wippt und Matthias noch immer strahlend mit bemehlten Händen sitzt. „In der Weihnachtsbäckerei, gibt es manche Kleckerei…“, singt die Weihnachts-CD.
Ich denke wieder an Chris Rea. „Driving home for christmas, with a thousand memories…“ Eine davon duftet am Nachmittag zitronig, als die Patienten die Plätzchen verspeisen.
* Namen und Daten der Patienten sind aufgrund des Datenschutzes abgeändert.
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