Kindheitspädagoge Mario (25): Ich gründe meinen eigenen Naturkindergarten! (29.10.13)

Dass die Arbeitsbedingungen in der Kita manchmal nerven, ist für Mario kein Grund, sich einen anderen Job zu suchen. Im Gegenteil, er setzt sich dafür ein, dass es besser wird: Er hilft, bundesweite Erzieher-Flashmobs zu organisieren, engagiert sich im Stadtrat der Gemeinde Bad Lausick in Sachsen für die örtlichen Kitas und Schulen und plant nebenbei die Gründung seines eigenen Musik- und Naturkindergartens. Wow, das ist ‚ne Menge Einsatz! Wir haben für euch mit Mario gesprochen:

MarioHi Mario, du bist ja schon länger in unserer Facebook-Community dabei, stimmt’s?

Ja, bestimmt schon seit einem Jahr! Ich bin damals zufällig bei Facebook über „SOZIALE BERUFE kann nicht jeder“  gestolpert. Ich bin auch noch in anderen Facebook-Gruppen für Erzieher und Sozialpädagogen.

Wie bist du zum Erzieherberuf gekommen?

Ich habe Abitur gemacht und dann zwischen Erzieherausbildung und Studium hin und her überlegt. Die Erzieherausbildung hätte insgesamt fünf Jahre gedauert, denn man muss in Sachsen vorher zwei Jahre Sozialsassistent machen. Den Bachelor hatte ich in dreieinhalb Jahren, also habe ich mich dafür entschieden. Auch ganz bewusst für die Kindheitspädagogik, die auf null bis zwölf Jahre spezialisiert ist, statt  für Sozialpädagogik, die mir zu breit gefächert war. Mit dem Studium habe ich die Möglichkeit, eine Einrichtung zu leiten. Größere Einrichtungen ab 75 Kinder darf man in Sachsen nur mit einem Bachelorabschluss oder Diplom übernehmen.

Stimmt, erzähl mal, du hast ja große Pläne für die Zukunft!

Ich plane gemeinsam mit  Kollegen die Gründung eines Musik- und Naturkindergartens. Wir mussten zuerst einen eigenen Trägerverein gründen, den stART for kids e.V., das haben wir geschafft. Jetzt suchen wir im Landkreis Leipzig ein Grundstück für unseren Neubau. Als Naturkindergarten brauchen wir ein großes Grundstück mit verschiedenen Naturbereichen. Am besten wäre, wenn ein Stück Wald dabei wäre.

WaldsofaWie kommst du auf das Konzept Naturkindergarten?

Ich bin selber ein Naturmensch und mache auch eine Weiterbildung zum Naturpädagogen: 14 Wochenendseminare über anderthalb Jahre in der Naturschule Freiburg e.V.. Ich gehe auch jetzt schon gerne mit den Kindern in den Wald. Dann bauen wir zum Beispiel ein Waldsofa: Man macht einen Kreis aus dicken Ästen, dann stapelt man immer dünnere Äste darauf und ganz oben eine Schicht dünne Zweige, damit es nicht so hart ist. Man kann es sich da richtig bequem machen, sogar schlafen kann man darauf!

Und was machst du sonst noch?

Ich war Mitorganisator des ErzieherInnen“flash“mobs am 28.9.13. Bundesweit haben 150 bis 200 Leute mitgemacht. Für den Anfang war das ganz gut, aber wir werden das auf jeden Fall wiederholen und wollen noch mehr Beteiligung erreichen!

Warum liegt dir denn der Erzieherberuf so am Herzen, dass du dich so sehr dafür einsetzt?

Ich bin bereits seit einigen Jahren im Kita-Bereich tätig. 2007 habe ich mein erstes Praktikum in einer Kita gemacht und gedacht: „Mensch, arbeiten kann ja auch Spaß machen!“ Seitdem habe ich bis zu meiner Festanstellung im März diesen Jahres viel ehrenamtlich als Praktikant in verschiedenen Einrichtungen gearbeitet und war im Zuge meines Studiums auch für drei Monate in Dänemark in einer Kita tätig. Aber was nervt, sind die hierzulande viel zu großen Gruppen. Offiziell habe ich laut Personalschlüssel 13 Kinder ab drei Jahren alleine zu betreuen, meist sind es aber sogar 18 oder 19 Kinder. Da ist pädagogisch sinnvolles Arbeiten nicht möglich. Ich weiß: Ich könnte so viel mehr machen! Darum mein Engagement.

Wie ist es als Mann in der Kita? Es gibt ja nicht so viele männliche Erzieher…

Für die Kinder ist es was Besonderes, dass ich ein Mann bin. In jeder Einrichtung, in der ich bis jetzt war, war ich der erste Mann. Die Kinder kommen oft zuerst zu mir gerannt, wenn sie was wollen! Neulich kam ein kleines Mädchen zu mir und sagte: „Mario, ich hab’n Geheimnis, das darf ich niemandem verraten!“ Ich sagte: „Na, dann behalte es für dich verrate es keinem!“ Da sagte das Mädchen: „Doch, dir verrate ich’s, nur den Mädchenerziehern sollst du’s nicht erzählen!“

Scheint, als hättest du einen guten Draht zu den Kindern!?

Ja, ich baue schnell eine gute Beziehung zu ihnen auf. Wenn sie einen mögen, klappt es auch in der Gruppe besser. Die wissen, wo bei mir der Hase langläuft. Ich kann es auch gar nicht nachvollziehen, warum manche Menschen über sich sagen: „Ich könnte nicht in der Kita arbeiten, das wäre mir viel zu laut!“ Ich hab das noch nie so schlimm erlebt. Es kommt wohl auf die Persönlichkeit an. Man darf selber  nicht hektisch werden. Ich bin die Ruhe in Person. Mir wurde schon oft gesagt, dass ich viel Ruhe in die Gruppen bringe.

Vielen Dank für das Interview, Mario! Wir wünschen dir viel Glück bei der Gründung deiner Kita!

Wir wollen Geld für’s studienintegrierte Praktikum! (28.10.13)

Wer Soziale Arbeit studiert, muss ein mehrmonatiges, studienintegriertes Praktikum machen. Dabei setzt man sich für Menschen ein und erntet Dankbarkeit – schön und gut. Aber wie sieht es mit der Bezahlung aus? Die Mitglieder des  Netzwerks Prekäres Praktikum fordern bessere Bedingungen während des Praktikums. Unsere Praktikantin Laura hat darüber mit Netzwerkmitglied Hannes gesprochen.

HannesHannes, welche schlechten Bedingungen kritisiert ihr denn beim studienintegrierten Praktikum?

Dieses studienintegrierte Praktikum ist ein Vollzeitjob, aber oft nicht oder sehr schlecht bezahlt. Das führt zu einer prekären Lebenssituation der Studierenden: Wenn man nebenbei jobben muss, um den Lebensunterhalt zu verdienen, geht man von der Arbeit zur Arbeit und kommt auf 60 Stunden die Woche. Ich hatte eine Kommilitonin, die regelmäßig Nachtschichten gemacht hat – fünf Monate lang! Das Netzwerk Prekäres Praktikum ist ein offener Zusammenschluss der drei Berliner Hochschulen, an denen man soziale Berufe studieren kann. Beim Netzwerk treffen sich Studierende, setzen sich für ihre Interessen ein und beschäftigen sich ganz besonders mit der Situation des studienintegrierten Praktikums. Gerade  planen wir eine Umfrage unter Studierenden dazu.

Du studierst selbst Soziale Arbeit und hast das Praktikum schon hinter dir. Warum engagierst du dich beim Netzwerk Prekäres Praktikum? 

Ich selbst habe kein Geld bekommen in meinem Praktikum, bekomme aber BAföG. Es hat gereicht, dass ich mich ernähren und meine Miete bezahlen konnte. Aber es gibt Kommilitonen, die noch Kinder haben, die alleinerziehend sind und die nicht neben dem Praktikum arbeiten können. Für die ist das eine Extrembelastung. Die haben auch keine Zeit, sich politisch dafür einzusetzen, dass sich was verändert. Unbezahlte Praktika sind ein Skandal und da muss etwas unternommen werden!

Nun sind fünf Monate eine überschaubare Zeit, die man finanziell überbrücken könnte…

Es gibt schon Möglichkeiten. Man kann einen Kredit aufnehmen. Der eigentliche Skandal ist aber, dass da eine wertvolle Arbeit gemacht wird. Studierende gehen in Arbeitsfelder, wo sie intensiv mit Menschen arbeiten. Sie lernen dort viel und entwickeln ihre Professionalität weiter. Aber sie leisten auch einen wertvollen Beitrag, der in keiner Weise anerkannt und vergütet wird. Die Wertschätzung sozialer Berufe muss schon in der Ausbildung beginnen. Es kann nicht sein, dass Studierende billige Arbeitskräfte sind oder Arbeitskräfte ersetzen und am Ende noch einen Kredit zurückzahlen müssen.  Praktikumsstipendien sind so rar, dass diese Möglichkeit für die meisten Studierenden auch nicht in Frage kommt. Deswegen muss eine grundsätzliche Lösung her.

Es gibt viele Bereiche, in denen es unbezahlte Pflichtpraktika gibt. Warum sollte das in sozialen Berufen anders sein?

Ich finde es spannend, dass es das noch gibt, dass Praktika nicht bezahlt werden. In der Ausbildung vergütet zu werden ist eigentlich etwas ganz Normales. Auch FSJler oder Bundesfreiwilligendienstleistende, die gar nicht ausgebildet sind, bekommen Geld. Dort wird sichergestellt, dass sie leben können. Da ist das Praktikum in sozialen Berufen tatsächlich eine Lücke.

Wieso entscheidet man sich dann nicht gleich gegen einen sozialen Beruf?

Soziale Berufe sind was unglaublich Tolles! Wenn man sich für Menschen interessiert und wenn man sich mit Menschen auseinandersetzt, die ganz anders sind als man selbst. Wenn man sie unterstützen kann, Herausforderungen oder Krisen zu meistern, ist das ein unglaublich genialer Job. Es gehört aber auch viel dazu: an Frustrationstoleranz, an Selbstüberwindung, auch sich selbst und strukturelle Probleme zu hinterfragen.  Trotz prekärem Praktikum ist Soziale Arbeit ein außergewöhnlicher Beruf, der mich begeistert.

Ok, das überzeugt. Wie kann ich euch beim Netzwerk Prekäres Praktikum helfen?

Ganz verschiedene Dinge! Hier sind einige Ideen:

  • Engagiere Dich in einer unserer AGs (AG Öffentlichkeitsarbeit, AG Lobby, AG Forschung, AG Aktion/Veranstaltung)!
  • Wir brauchen immer wieder HelferInnen Konkret: am 10. November brauchen wir 35 Leute, die die Eingabe unserer Umfragedaten unterstützen.
  • Schreibe deine Abschlussarbeit zum Thema prekäres Praktikum. Je mehr Argumente, Fakten, Veröffentlichungen zu dem Thema erscheinen, desto stärker wird unsere Position.
  • Berichte aus deinem Alltag im Praktikum für unseren Blog. Wir wollen prekären Lebenslagen von Studierenden ein Gesicht und eine Stimme geben.!
  • Like bei Facebook die Seite vom Netzwerk Prekäres Praktikum.  Zeigt, dass wir viele sind!
  • Frag bei der Suche nach Praktika selbstbewusst nach Vergütung!
  • Rede über Gehälter in sozialenBerufen.
  • Informier und organisiere dich in einer Gewerkschaft und Berufsverband. Wir müssen uns für Anerkennung von sozialen Berufen stark machen.
  • Macht bezahlte Praktikumsstellen bekannt! Wir sammeln und veröffentlichen Praktikumsstellen die ihre PraktikantInnen bezahlen auf unserer Homepage.

Vielen Dank, Hannes! Mehr Infos zum Netzwerk Prekäres Praktikum hier. Wenn ihr Soziale Arbeit in Berlin studiert, könnt ihr mitmachen! Wenn ihr woanders studiert, könnt ihr nach diesem Vorbild euer eigenes Netzwerk gründen und dazu gerne Kontakt zum Netzwerk Prekäres Praktikum aufnehmen !

Erzieherin Laura: Projektwoche ist ganz schön anstrengend! (24.10.13)

OLYMPUS DIGITAL CAMERAHallo liebe Community, Puh! Nach so einem anstrengenden Tag in der Erzieherausbildung wie heute möchte man, wenn man zuhause ist, nur noch in die Jogginghose und auf das Sofa! Was genau ist los? Wir haben Studienwoche an derEvangelischen Fachschule für Sozialpädagogik Alten Eichen, also so etwas ähnliches wie früher in der Schule Projektwoche. Unsere Lehrer haben diese Woche aufwändig vorbereitet und sich Gedanken gemacht und uns extra eine bewertungsfreie Zeit eingeräumt- es gibt also keine Note für diese Woche. Trotzdem kommen mir die Tage viel länger vor, als wenn wir normal Schule haben, weil wir in unserer Gruppe die ganze Zeit zusammensitzen und an einem Thema durcharbeiten.

Das Oberthema für unsere Parallelklasse und uns ist in dieser Woche angelehnt an die aktuelle Flüchtlingsthematik in Europa und unseren Wahlpflichtkurs „Schule ohne Rassismus- Schule mit Courage“: Migration und Interkulturalität. Dieses Thema finde ich sehr interessant und am Anfang der Woche konnten wir Workshop- und Projektgruppen bilden zu verschiedenen Aspekten, wie zum Beispiel „Was möchte ich erreichen?“ oder „Mich ärgert…“ Meine Mitschüler beschäftigen sich nun unter Anderem mit Themen wie Öffentlichkeitsarbeit oder dem Gestalten konkreter Hilfsangebote für die Menschen in den Flüchtlingslagern in Hamburg.

Zudem gibt es zum Beispiel auch eine Gruppe, die sich mit interreligiöser Zusammenarbeit beschäftigt und unterschiedliche religiöse Orte besucht. Ich gestalte mit meinem Kurs im Rahmen des Schule ohne Rassismus- Projektes einen Gottesdienst, zu dem unter Anderem auch unser prominenter Pate, eine Band aus Hamburg, die auf plattdeutsch singt, kommt und auch live musizieren wird. Am Tag dieses Gottesdienstes werden wir voraussichtlich unsere offizielle Bezeichnung „Schule ohne Rassismus“ erhalten.

Die Vorbereitung eines solchen Gottesdienstes ist aufwendiger, als ich gedacht habe. Wir müssen uns ein Oberthema überlegen, einen Ablauf entwickeln, Fürbitten schreiben, Predigten entwerfen, Lieder auswählen und so weiter. Das alles müssen wir dann immer wieder im Austausch mit unserer Schulpastorin reflektieren und durchdenken. Als Überschrift haben wir uns „Reiche deine Hand“ überlegt, da wir finden, dass zum Einen wir den Menschen, die zu uns fliehen, die Hand reichen sollten, da wir ihnen helfen müssen, Sicherheit und Offenheit zu erfahren. Gleichzeitig geben diese Menschen uns ihr Vertrauen und bauen ihre Hoffnung darauf auf. Wir sollten erkennen, dass jeder Mensch etwas mitbringt und zu geben hat und wir dafür nur empfänglich sein müssen. Das Symbol der Hand hat uns zu vielen weiteren Anknüpfpunkten inspiriert, zum Beispiel die Aussage „eine Hand wäscht die andere“, „seine Hände in Unschuld waschen“ „mir sind die Hände gebunden“ und Ähnliches. Hierzu passt auch das Thema Courage: „Die Faust ballen“, „Die Hand gegen etwas erheben“ oder „mit dem Finger auf etwas zeigen“. Wir sind noch mitten im Arbeitsprozess und morgen werden sicher schon wieder den ganzen Schultag konzentriert unsere Köpfe rauchen und am Ende werden wir im November einen hoffentlich aussagekräftigen und schönen Gottesdienst veranstalten können. Macht es gut, Laura.

Überraschung! Keine Prüfungen im ersten Semester Soziale Arbeit (23.10.13)

Unsere Praktikantin Laura studiert im siebten Semester Soziale Arbeit und bereitet so langsam ihre Bachelorarbeit vor. „Das Studium formt die Persönlichkeit“, sagt sie in ihrem Bericht über ihre Zeit an der Hochschule, den sie für euch geschrieben hat:

kann-nicht-jederDie Katholische Hochschule für Sozialwesen, an der ich studiere, ist klein: Auf drei Stockwerke mit einem Hauptgebäude und zwei Seitenarmen erstreckt sich der Ort, an dem ich die nächsten dreieinhalb Jahre Soziale Arbeit erlernen werde. „Das hier war mal das modernste Krankenhaus Deutschlands“, erklärt uns die Dozentin für ästhetische Soziale Arbeit in unserer ersten Stunde. „Das war in den 30iger Jahren des letzen Jahrhunderts.“ Erst im Jahr 1991, nachdem es zum Kriegsende ein Gefängnis mit Folterkammern im Keller und dann ein DDR-Ministerium war, wurde meine jetzige Hochschule daraus.

Aller Anfang ist … leicht

Der Anfang ist sehr unkompliziert. Wir haben eine Vorlesung in Psychologie: Am Ende gehen wir da raus mit neuem Wissen über antrainierte Verhaltensweisen, psychische Störungen und Phobien. In Soziologie hören wir etwas über Gruppenverhalten, Gewalt und auf welchen verschiedenen Ebenen Menschen zu Gewaltopfern werden können. Spannend ist eine spezielle Veranstaltung, die immer dienstags stattfindet, die so genannte START-Werkstatt. Dort lernen wir vormittags durch einen Dozenten und nachmittags durch eine Studierende eines höheren Semesters das wissenschaftliche Arbeiten und die Arbeit in Projekten. Anders als die anderen Seminare dauert die START-Werkstatt den ganzen Tag, und hier haben wir auch das erste Mal etwas wie eine feste Klassengruppe. Mit dieser gehen wir auch schon mal am Abend Karaoke-Singen oder ins Theater. Sehr viel Spaß habe ich an dem Kommunikationsseminar. Dort halte ich mein erstes Referat des Studiums über das Thema „Konflikte“, aus dem ich viel für den Rest meines Studiums mitnehmen kann: Dass Menschen in allen Lebensbereichen Konflikte haben können, vor allem wenn sie in Arbeit auf andere angewiesen sind, habe ich seitdem selbst immer wieder in Gruppenarbeiten während des Studiums  erlebt. Durch das Kommunikationsseminar kann ich inzwischen mit solchen Situationen besser umzugehen.

Das fröhliche Studentinnenleben

„Im ersten Semester gibt es an unserer Hochschule keine Prüfungen“, sagt der Kommilitone mit den Rastazöpfen. Ich bin erst mal verdutzt. Müssen wir keine Prüfungen ablegen? Dann rechne ich nach und komme auf das gleiche Ergebnis. Erst im zweiten Semester wird der Stoff aus beiden Semestern abgeprüft. Viele Erstsemester kommen nicht aus Berlin, sondern sind extra wegen des Studiums hierher gezogen. Die Hochschule berücksichtigt das, indem sie den Studierenden am Anfang noch keine Prüfungen aufdrückt. Dafür ist dann auch mehr Zeit, um sich in der Stadt einzuleben, sich im eigenen Studierendenparlament oder in den beiden von Studenten organisierten Kaffeestuben zu engagieren. Gegen Abend gibt es dann manchmal eine Alternative Lehrveranstaltung. Diese Idee haben sich Studierende ausgedacht, nachdem es vor vier Jahren einen Bildungsstreik in der Hochschule gab. Die Alternative Lehrveranstaltung wird von Studierenden mit der Unterstützung von Dozenten vorbereitet. Und dann darf man natürlich auch die Partys und sonstigen Zusammenkünfte unter den Studierenden nicht vergessen. Das erste Semester ging sehr schnell herum. Wir hatten gerade Mal angefangen, schon standen nach vier Monaten Hochschule die ersten Semesterferien vor der Tür.

Soziale Arbeit kann nicht jeder

Das Besondere an dem Studium der Sozialen Arbeit ist, dass nicht nur Wissen, wissenschaftliches Arbeiten oder die Betrachtung von Situationen und gesellschaftlichen Verhältnissen aus verschiedenen Perspektiven gelehrt wird. Das Besondere ist sicher auch, dass es eine Persönlichkeitsformung ist: Durch das Studium entwickelt man sich weiter. Meine Mitstudierenden sind sehr, sehr unterschiedliche Persönlichkeiten. Es gibt nicht den Typus Sozialarbeiter oder Sozialarbeiterin. Trotzdem kann Soziale Arbeit nicht jeder. Man braucht viel Geduld, Einfühlungsvermögen und die Fähigkeit, sich und seine Handlungen hinterfragen zu können, denn auch die Menschen mit denen wir arbeiten sind unterschiedlich. Dafür ist es wichtig, verschiedene Perspektiven einnehmen zu können. Und natürlich muss man gerne mit Menschen zusammenarbeiten. Inzwischen bin ich im siebten Semester angekommen, bereite so langsam meine Bachelorarbeit vor und bin immer noch froh über meine Studiengangswahl. Wo ich zukünftig arbeiten werde, weiß ich noch nicht. In jedem Fall freue ich mich aber auf meine neue Arbeit.

Infos und einen Film zum Studium Soziale Arbeit seht ihr hier!

Don’t worry, eat chicken, eat Curry – Laura beim FSJ in Indien (21.10.13)

Bei meinem Freiwilligendienst in Kerala, Südindien, war nicht nur meine soziale Ader gefragt: Die scharfe Küche, die Lebensweise und die sozialen Umgangsregeln stellten erst mal eine Herausforderung dar.

Mittagessen mit den Händen- in Indien ganz normal

Mittagessen mit den Händen- in Indien ganz normal

Das braune Zeug, was die kleine Frau im Sari mir vorsetzt, sieht erst mal wenig vielversprechend aus. „Kerry“ sagt sie, wenigstens hörte sich für mich so an. Aha, das ist wohl das berühmte indische Curry. „Eating, eating“, sagt sie bevor sie mehrere kreisrunde Fladen, die eierkuchenähnlichen Chapati, auf meinen Teller fallen lässt, „eating, eating.“ Weil ich keine Anstalten mache sofort loszulegen, legt sie noch mal ein Chapati drauf. „Eating, eating“ wiederholt sie mit einer zum Mund greifenden Geste, damit ich es ja auch richtig verstehe. Ich probiere ein Stück Chapati mit etwas Curry darauf – und ringe nach Luft… Das ist SCHARF!!!

Aber natürlich war ich nicht nur wegen des Essens im Shaloam Polio Home, einem Heim für Kinder mit Körperbehinderungen durch Kinderlähmung. Die bereits eingeschulten Kinder und Jugendlichen konnten aufgrund ihrer Behinderungen an Unterkörper und Beinen die Schule zu Hause nicht erreichen und lebten deshalb nicht bei ihren Eltern. Die Schule hier war nur etwa 300 Meter von dem Heim entfernt in einem Dorf, das sich über einen riesigen Berg verteilte. In dem Heim erhielten die Kinder außerdem nach Bedarf Physiotherapie und Gehhilfen, Beinschienen oder Prothesen. Vor Ort hatte ich als Freiwillige die Aufgabe, 23 Jungen und Mädchen im Alter zwischen zehn und 22 Jahren nachmittags zu beschäftigen, mit ihnen Hausaufgaben zu machen und das Programm zum Weihnachtsfest mit ihnen zu gestalten.

Gruppenbild mit den Kindern, Jugendlichen und Freiwilligen des Polio Homes

Noch nie bin ich so freundlich und herzlich empfangen worden und selten schneller und selbstverständlicher Teil einer Gemeinschaft geworden! Die Zeit, die Steffi, die andere Freiwillige, und ich am Nachmittag mit den Kinder verbrachten, waren die einzigen anderthalb Stunden, die die Kinder als Freizeit am Tag hatten: Direkt nach dem Kaffee ab 16 Uhr bis etwa halb sechs, wenn einer der Jungen die Glocke für das abendliche Lernen läutete. Da es für die Kinder die einzige freie Zeit am Tag war, verzichteten wir bald darauf, auch diesen kurzen Zeitraum für sie durchzuplanen. Mit den Jungen spielten wir meistens verschiedene Kartenspiele, kommentierten zusammen mit ein paar Herumsitzenden das von den fitteren Jungen gespielte Cricketspiel oder unterhielten uns einfach mit ihnen. Mit den Mädchen sangen wir aus mitgebrachten Liederbüchern, bastelten und malten, spielten Spiele oder unterhielten uns einfach.

In den Morgen- und Abendstunden versuchten wir bei den Hausaufgaben zu helfen, soweit es uns möglich war. Am Vor- und Nachmittag, wenn die Kinder in der Schule waren, verbrachten wir die Zeit oft in der Küche, wo wir Gemüse schnippelten und uns die Rezepte aufschrieben. Oder wir wuschen per Hand unsere Wäsche, und etwa zweimal die Woche gingen wir in die Stadt, wo wir die Möglichkeit hatten zu telefonieren oder E-Mails zu lesen. Die Wochenenden verliefen ähnlich wie die anderen Tage. Ein Highlight der Woche stellte der Sonntagnachmittag dar: Ab etwa drei Uhr, also genau zum Nachmittagskaffee, lief im malayalmischen Fernsehen ein Spielfilm. Und egal wie müde die Kinder von der Woche waren, nie verpassten sie auch nur einen Film!

Der Kulturschock blieb natürlich nicht aus – andere Länder, andere Sitten. Zum ersten Mal sah ich es, als ich zufälligerweise in den Speisesaal kam. Einer der jüngeren Jungen, etwa 13 Jahre alt, diskutierte mit dem stellvertretenden Heimleiter Rejimon. Worum es ging, konnte ich mit meinen wenigen Brocken Ma­layalam nicht verstehen. Dann streckte der Junge dem Heimleiter die Handflächen entgegen. Rejimon, der sonst immer freundlich und zu Späßen aufgelegt war, griff nach einem Stock und schlug diesen mehrfach auf die Handflächen des Jungen. Die ehemaligen Freiwilli­gen hatten uns während der Vorbe­reitungstreffen schon darauf vorbereitet, dass die Kinder zur Strafe geschlagen werden. Für uns waren diese Situationen trotzdem schockierend. Wir mischten uns aber nie ein, das hatte man uns so geraten. Zu dieser ungewohnten Lebensweise gehörte auch der sehr harte Alltag der Kinder, der morgens um fünf Uhr mit Lernen für die Schule begann und gegen elf Uhr nachts nach dem Lernen endete.

Schminken und stylen der Freiwilligen ist Freizeitgestaltung der Mädchen

Abschließend möchte ich noch eine kurze Empfehlung an die Leute abgeben, die einen Freiwilligendienst in welchem Erdteil auch immer erwägen: Wenn es euch möglich ist, nehmt die Möglichkeit eines Freiwilligendienstes wahr! Es sind die lebensprägendsten Erfahrungen, die ihr dort macht und das kann zukünftig sogar eure Berufswahl beeinflussen. Man macht nicht immer nur positive Erfahrungen, aber sicher sind auch das Erlebnisse, die man später nicht missen möchte! Und wie funktioniert das, wenn die Leute vor Ort wenig englisch sprechen und man selbst die Landessprache Malayalam nicht beherrscht? Ich kann da beruhigen: Es finden sich da Mittel und Wege. „You come in my room!“ pflegten die Mädchen im bestimmten Ton zu sagen, wenn sie fanden, dass es mal wieder Zeit fürs Kartenspielen, die Freiwilligen im „Indian style“ Umstylen oder Singen war. „Come, come“ riefen die kleineren Jungen, wenn sie uns zeigen wollten, dass sie ge­rade irgendeines von den tausend im Heim herumlaufenden Insekten gefangen, oder bereits alles für die fünfte Partie UNO des Tages vorbereitet hatten…

Übrigens: Das Polio Home in der Form gibt es mittlerweile nicht mehr. Kinderlähmung gilt in Kerala zum Glück schon seit einigen Jahren als ausgestorben und die letzten Kinder des Polio Homes haben nach und nach das Heim verlassen. Das Heim steht immer noch und es wird überlegt, wie es in Zukunft genutzt werden soll. Vielleicht werden zukünftig andere Projekte dort einziehen.