Wie startet man gut vorbereitet ins Studium Soziale Arbeit? Ann-Thea erzählt (27.9.13)

Praktikum in einer Schule für geistig behinderte Kinder, Freiwilliges Soziales Jahr, Arbeit in einer therapeutischen Wohngruppe für „Austherapierte“ – Ann-Thea, 28, ist nicht blauäugig, sondern gut vorbereitet ins Studium der Sozialen Arbeit gestartet. Im Gegensatz zu vielen Kommilitonen weiß sie auch schon genau, wo sie mal hin will: in die Stadtteilarbeit. Unsere Praktikantin Laura hat für euch mit Ann-Thea gesprochen:

Bild von Ann-TheaWas reizt dich an der Arbeit im sozialen Bereich?

Ich fand‘ es früher schon nicht in Ordnung, dass es Leute gibt, die genau so viel arbeiten wie andere, sich aber viel weniger leisten können. Heute geht es mir  um eine stückweite Gerechtigkeit. Es geht mir auf den Nerv, dass gerade in Berlin so viel über den Kopf von Bürgern entschieden wird. Wenn du dann so einen Einzelfall hast, wo du ein bisschen was erreichen kannst, dann ist das schon eine kleine Genugtuung zu sagen: „Okay, ihr baut Flughäfen, ohne uns zu fragen. Aber immerhin, in diesem Fall haben wir ein bisschen was erreicht.“

Was siehst du als deine Hauptaufgabe?

Es ist unser Job, auf die Straße zu gehen und zu demonstrieren, weil die Leute, für die wir arbeiten, es meistens nicht können. Ein Jugendlicher kann vielleicht im Rahmen seiner Möglichkeiten Radau schlagen. Aber wie können sich kranke Menschen, kleine Kinder oder auch ältere Menschen wehren? Sie brauchen jemanden, der das für sie tut.

Was ist mit der Dankbarkeit der Menschen, denen du hilfst, ist das auch eine Motivation für dich?

Ich hab‘ tatsächlich schon Blumensträuße von dankbaren Eltern gekriegt. Mit Kindern zu arbeiten, ist das Angenehmste, was es gibt, wenn es um Dankbarkeit geht. Weil Kinder einem so etwas einfach zurückgeben, die denken gar nicht großartig darüber nach. Ansonsten habe ich es nicht so mit Dankbarkeitsbezeugungen. Die Dinge, für die ich mich einsetze, das sind Dinge, auf die man ein Recht haben sollte oder auf die man ein Recht hat.

Was ist mit den Erfolgen, die man mit der Sozialarbeit erzielen kann, motivieren die?

Erfolge, das sind in der Sozialarbeit die kleinen Schritte. Das habe ich in der Arbeit mit behinderten Menschen gelernt. Du übst ein ganzes Jahr mit dem Kind Farben, und am Ende des Jahres bist du glücklich, dass es jetzt nicht mehr rot mit gelb verwechselt. Es kann dir zwar immer noch nicht sagen, wie die Farbe heißt, aber wenn du gelb sagst, zeigt es auf die richtige Farbe. Oder in der Grundschule, wenn ein Kind nach einem Jahr beim Fußballspielen mitmachen darf. Das war einer meiner größten Erfolge, die ich als Schulbegleiterin eines autistischen Kindes hatte. Obwohl es sich trotzdem noch  zweimal die Woche mit einem anderen Kind geprügelt hat, weil sie sich nicht verstanden haben.

Was sind das noch für Menschen, mit denen du gearbeitet hast, zum Beispiel die „Austherapierten“?

Das sind Menschen, die einen Großteil ihres Lebens in der Psychiatrie verbracht haben und dort die nicht so schönen Jahre der Psychiatrie miterlebt haben. Die waren n den 60er und 70er Jahren dort, sind als Kinder eingeliefert worden und quasi nie aus dem Krankenhaus rausgekommen. Mit ihnen zu arbeiten, war zum Teil schon hart. Ich hatte auch viel Spaß, aber ich hatte Einsicht in die Akten und habe krasse Dinge gelesen, zum Beispiel von monatelangem Aufenthalt in Einzelzellen.

Hast du deshalb noch mal was ganz anderes gemacht, bevor du ins Studium Soziale Arbeit eingestiegen bist?

Ich habe eine Ausbildung zur Buchbinderin gemacht, sozusagen als zweites Standbein, falls es mit dem Studium nicht klappt. Außerdem nutzt ein handwerklicher Beruf in der Behindertenarbeit, wenn man zum Beispiel in Werkstätten mit Behinderten arbeiten möchte. Nach der Ausbildung habe ich für ein halbes Jahr dieses autistische Kind in der Grundschule betreut, das war quasi direkt vor dem Studium.

Es gibt rund um die Soziale Arbeit viele Klischees und Vorurteile. Erlebst du das auch so?

Wenn ich erzähle, dass ich Soziale Arbeit studiere, kommt ganz häufig die Reaktion: „Ach, dann arbeitest du später auf dem Sozialamt?“ Die Leute denken gleich an Hartz IV-Fälle, vielleicht haben sie das aus dem Fernsehen: Dass der Sozialarbeiter zu einer Familie, die ein Bett für das Kind beantragt hat, in die Wohnung kommt und guckt, ob die das wirklich brauchen. Dabei ist das ja nur ein kleiner Teil dessen, was Sozialarbeiter machen. Zur Stadtteilarbeit, für die ich mich interessiere, sagen die Leute: „Wie – Du organisierst Feste, läufst den ganzen Tag durch den Kiez, quatschst mit den Leuten und dafür kriegst du Geld?“

Und du willst also nach dem Studium in die Stadtteilarbeit?

Wenn ich was da kriege, auf jeden Fall. Berlin hat relativ viele Stellen, vor allem wenn man bereit ist, Teilzeit zu arbeiten. Es ist cool, Organisationen miteinander zu vernetzen. So nach dem Motto: „Hey Leute, ihr müsst euch nicht alle eine Hüpfburg anschaffen. Ihr könnt euch die ausleihen, stellt euch vor!“ Mein Plan B ist es, in Richtung Demokratie und Bildung zu gehen. Ich finde, dass wir da viel zu wenig wissen. Man lernt in der Schule, wie der Bundestag zusammengesetzt wird, und das ist auch so ziemlich das einzige. Das ist wirklich traurig.

Wie würdest du folgenden Satz beenden: Soziale Arbeit kann nicht jeder, weil ….

… nicht jeder Spaß dran hat! Man muss ein großes Interesse daran haben, direkt mit Menschen zu arbeiten. Man muss akzeptieren können, dass Menschen einen ganz anderen Lebensentwurf haben als man selbst. Ab einem bestimmten Punkt muss dann sagen können: Das ist meine Meinung, das ist deine Meinung. Aber ich arbeite für dich, also machen wir das so, wie du das haben willst.

Was braucht man, um ein guter Sozialarbeiter zu sein?

Man muss auf den Punkt argumentieren und schnell handeln können. Strukturiertes Arbeiten ist wichtig. Ohne Organisation läuft der Laden nicht. Außerdem brauchst du Einfühlungsvermögen, du musst dich für andere Menschen interessieren. Im Studium sind mir sehr viele unterschiedliche Leute begegnet. Viele haben eine ganz andere Herangehensweise als ich, machen ihren Job aber trotzdem gut. Ich würde sagen: Die Vielfalt macht’s!

Vielen Dank, Ann-Thea! Unser Portrait und unseren Film zum Studium Soziale Arbeit findet ihr hier.