Laut einer gerade veröffentlichten OECD-Studie sind Geflüchtete, die in Deutschland arbeiten, oft überqualifiziert. 71 Prozent von ihnen haben eine bessere Ausbildung als für den Job, den sie machen, nötig wäre. Das Projekt „InTouch“ der Uni Bremen, das am 7. September in Brüssel vorgestellt wurde und als Vorbild für Evangelische Fachhochschulen dienen kann, will das ändern.
Youssef Fakie kam 2014 aus Syrien nach Deutschland. Nachdem er sich eine Weile im Übergangswohnheim gelangweilt und auf die Prüfung seines Asylantrags gewartet hatte, freut er sich über das Angebot der Uni Bremen, an Seminaren in englischer Sprache teilzunehmen: „Endlich nicht mehr herumsitzen!“ Geduld musste Fakie trotzdem weiter haben, denn bis er seine Hochschulzugangsberechtigung bekam und nun ab Oktober 2016 ein reguläres BWL-Studium an der Uni-Bremen aufnehmen darf, sollte es noch einmal zwei Jahre dauern. Zwei Jahre, in denen aus einer spontanen Initiative der Universität das Projekt „InTouch“ wurde.
„Wir wollten einen schnellen und unkomplizierten Zugang schaffen“, erzählt Jens Kemper vom Hochschulbüro Higher Education Refugees Entrance der Staatlichen Hochschulen des Landes Bremen. Als die Initiative, die erste ihrer Art, im April 2014 mit 40 registrierten Teilnehmern startete, gab es darum nicht viel mehr als das Angebot für Geflüchtete, die laut mündlicher Aussage schon einmal an einer Universität eingeschrieben waren und Deutsch oder Englisch sprachen, Seminare zu besuchen, das WLAN und die Bibliothek zu nutzen. Inzwischen sind daraus 280 Registrierungen geworden. „Die Geflüchteten kennen diese ganz eigene Welt, die so eine Universität immer ist, und fühlen sich darin zu Hause“, sagt Prof. Dr. Yasemin Karakasoglu, Konrektorin für Internationalität und Diversität an der Uni Bremen. „Wir bieten ihnen eine Heimat.“ Auch die Projektstrukturen und –inhalte von „InTouch“ haben sich nach dem Motto „Learning by doing“ verbessert: Inzwischen gibt es Deutschkurse für die Teilnehmer, Lern-Tandems mit deutschen Studierenden, Einführungen in die deutsche Hochschulkultur, Hilfe bei der Zusammenstellung der Papiere für die Anerkennung der ausländischen Studienleistung und die Erlangung der Hochschulzugangsberechtigung. Im Stadtstaat Bremen wurde dafür extra in einem sechsmonatigen Eilverfahren ein Gesetz geändert.
Perfekt ist immer noch nicht alles. „InTouch“ erreicht bisher vor allem männliche Geflüchtete (zwei Drittel davon Syrer, ein Drittel davon haben bereits einen akademischen Abschluss) und nur neun Prozent Frauen, was daran liegt, dass sich deutlich mehr Männer auf den Weg nach Deutschland machen. „Auch die Anerkennung der Kompetenzen der Geflüchteten mit akademischem Hintergrund ist noch eine Baustelle“, sagt die Bremer Wissenschaftssenatorin Prof. Dr. Eva Quante-Brandt in Brüssel. So muss Youssef Fakie mit dem BWL-Studium nochmal ganz von vorne anfangen, obwohl er in Syrien schon einige Semester studiert hat. „Die Inhalte in den Fächern Mathe und Marketing sind zum Beispiel in beiden Ländern gleich“, weiß er. „In Recht und Rechnungswesen gibt es allerdings große Unterschiede“. Er hofft, zumindest die Seminare, die er in Deutschland bereits vor der offiziellen Einschreibung besucht und die Hausarbeiten, die er geschrieben hat, anerkannt zu bekommen. Das ist noch ungewiss, aber Fakie lässt sich, genau wie die Verantwortlichen der Universität und des Stadtstaats Bremen, optimistisch und voller Tatendrang auf das Experiment „InTouch“ ein.
Und danach? „Es ist seine Sache, ob Herr Fakie nach Abschluss seines BWL-Studiums in Deutschland bleibt oder in seine Heimat zurück geht“, betont Christian Bruns, der Leiter der Bremer EU-Vertretung in Brüssel. „In beiden Fällen ist seine Geschichte ein Beweis für den Erfolg von ‚InTouch‘. Wir wünschen ihm Glück für seine Zukunft, egal wie er sich entscheidet.“
Die EU ist jedenfalls am Thema dran. Die Generaldirektion Beschäftigung überlegt, zwölf Millionen Euro an Förderprojekte zur Integration von Geflüchteten in den Arbeitsmarkt auszuschütten, wie Dr. Detlef Eckert, Direktor in der Generaldirektion, berichtet. Außerdem arbeitet sie an einem Kompetenzerfassungstool, das mit Mitteln wie Tests, Interviews, Onlinebefragungen und Methoden des „Europäischen Qualifikationsrahmens für lebenslanges Lernen“ helfen soll, ausländische Abschlüsse und berufliche Vorerfahrungen in der gesamten EU vergleichbarer zu machen und einfacher anerkennen zu können.
Alle Infos zu „InTouch“ findest du hier: