„Eine unergründliche Tiefe ist der Mensch. Nicht einmal ich selbst erfasse das Ganze meines Seins“, sagte Augustinus. Ich sage: Und dennoch strebe ich stets danach, Menschen zu ergründen. Vor allem Kinder sind sehr ehrlich in ihrer Art und Weise zu denken und zu handeln und zeigen dies offen. Deswegen mache ich ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) in der Integrativen Kindertagesstätte Elfriede Westphal der Gesellschaft für integrative Behindertenarbeit (GiB) in Misburg.
Hallo ihr Lieben, ich heiße Michelle, bin 18 Jahre alt, und ihr habt nun die Möglichkeit, ein knappes Jahr lang mitzulesen, welche Erfahrungen ich in meinem FSJ sammle und wie ich möglicherweise Fortschritte im Ergründen der Tiefe der Menschen mache. Im Sommer dieses Jahres habe ich mein Abitur bestanden und beginne nach 12 Jahren Schule einen neuen Lebensabschnitt…
Es hat lange gedauert, bis ich mich entscheiden konnte, was ich mit meiner Zukunft anfangen möchte. Bisher musste ich nicht viel wählen. Auf dem Plan stand Jahr für Jahr: Schule! Doch je näher das Abitur rückte, desto mehr musste ich mich mit den vielen Berufsmöglichkeiten auseinandersetzen und versuchen, eine Entscheidung zu treffen. Ich muss dazu sagen, dass genau dies eine Schwäche von mir ist. Je mehr Auswahlmöglichkeiten es gibt, desto unentschlossener werde ich – in so gut wie jeder Lebenslage. Da die Berufswahl mein gesamtes Leben beeinflussen wird, tat ich mich entsprechend schwer damit. Nur bei einem war ich mir sicher: Es musste etwas Pädagogisches sein, mit Heranwachsenden.
Ich will helfen, lehren, ergründen. Optionen, die sich mir während einiger Berufsberatungen boten, waren Psychologie, Erziehungswissenschaften oder Pädagogik zu studieren. In der Oberstufe belegte ich einen Leistungskurs in Philosophie und entdeckte meine Leidenschaft für die Geisteswissenschaft, sodass meine letztliche Entscheidung zustande kam: Lehrerin für Deutsch und Philosophie. Es ist die Verknüpfung von Pädagogik und Philosophie, ich bekomme die Möglichkeit, Kindern und Jugendlichen zu helfen, zu lehren und sie zu ergründen.
Warum ich jetzt nicht anfange zu studieren? Ich habe zwar für nächstes Jahr schon den Studienplatz in Hannover für Lehramt, aber das FSJ bietet mir zunächst die Möglichkeit, erstmal in das pädagogische und erzieherische Berufsleben zu schnuppern, praktische Erfahrungen zu sammeln und meine Grenzen auszutesten. Genau das mache ich mir zunutze, anstatt direkt weiter in die Bücher zu schauen und mich hauptsächlich der Theorie zu widmen. Ganz ohne geht es natürlich nicht. Anstelle von Schulstoff oder Klausuren, werde ich Euch von den insgesamt fünf Seminaren berichten, auf denen das Erlebte vor allem reflektiert wird.
Am 6. August 2012 habe ich meine Arbeit in Misburg angefangen und war in der ersten Septemberwoche auch schon auf dem Einführungsseminar. Jeder neue Lebensabschnitt bringt auch viele neue Situationen mit sich, die es zu bewältigen gilt. Da ich in einer integrativen Einrichtung untergebracht bin, also in einer Kindertagesstätte, in der auch Kinder mit Behinderung untergebracht sind, war ich vor dem Beginn meines FSJs noch sehr unsicher. Meine Entscheidung dafür war zwar bewusst, doch ich habe zuvor noch nie Erfahrungen mit beeinträchtigten Kindern sammeln können. Durch Praktika in offenen Kindergärten, das Mitwirken bei „Kinderbibeltagen“ und meinen Nebenjob im Kinderspielparadies ist der Umgang mit Kindern nichts Neues für mich, doch dieser war stets ausschließlich mit gesunden Kindern.
Die ersten Tage war ich dementsprechend noch etwas zurückhaltender und beobachtete sehr viel. Ich hatte Angst, etwas falsch zu machen, und wollte mir zunächst ein ungefähres Bild der einzelnen Kinder machen, um richtig auf sie eingehen zu können. Jedes Kind ist auf seine Weise einzigartig und mittlerweile, nach etwa zwei Monaten im FSJ, habe ich schon ein gutes Gefühl dafür entwickelt, wie ich in verschiedenen Situationen mit den verschiedenen Kindern umgehen muss. Dabei hat mir die Offenheit der Fachkräfte sehr geholfen. Sowohl die Einrichtungsleiterin als auch meine Anleiterin und die anderen Erzieher sind immer für Fragen offen und beantworten sie mir ausführlich, so dass es mich weiterbringt.
Was mir sehr gut gefällt, ist die Selbstständigkeit und das Vertrauen, das mir am Arbeitsplatz entgegengebracht wird. Sowohl von den Kindern, als auch von meiner Einsatzstelle selber. Wir haben zwei Gruppen mit je 15 Kindern und jeweils einem FSJler. Mein Kollege und ich haben gewisse Aufgaben, die wir jeden Tag erledigen müssen. Diese haben wir uns aufgeteilt und sind in unserem Arbeiten somit, wie zuvor erwähnt, sehr selbstständig und frei. In der KiTa bin ich hauptsächlich im Kontakt mit den Kindern, erledige nebenbei aber auch einige hauswirtschaftliche und organisatorische Aufgaben. Es ist beispielsweise jeden Mittwoch gemeinsames Frühstück mit den Kindern, das ich am Tag zuvor mit dem zweiten FSJler plane. Wir überlegen uns, was wir anbieten wollen, besorgen die Lebensmittel und bereiten diese dann im Frühdienst am Mittwoch gemeinsam mit den Kindern vor.
Es hat mich wirklich begeistert wie gerne die Kinder bei den Vorbereitungen helfen und wie geschickt und selbständig sie schon in jungen Jahren sind. Aus meinen Praktika in anderen Kindergärten kannte ich es stets so, dass sich alle Kinder auf „neue Erwachsene“ stürzen, den ganzen Tag mit diesen spielen wollen und sich weder alleine beschäftigen noch anziehen wollen. Nun habe ich ein völlig neues Bild. Es fiel anfangs fast schwer, als „Neuankömmling“ eine richtige Beziehung zu den Kinder aufzubauen und sich in ihr Spiel mit einzubringen, da sie unglaublich unabhängig, selbstständig und regelbewusst sind. Je enger meine Bindung zu den Kindern mit der Zeit wird, desto faszinierter bin ich von den Eigenschaften und von den Denkprozessen der Kinder. Ich hatte bereits einige Schlüsselereignisse in meinen ersten Wochen und es werden noch einige folgen, die ich Euch liebend gerne berichten werde. J Eines war ziemlich zu Anfang auf dem Waldspielplatz in der Nähe des Kindergartens. Dort gibt es eine Reifenschaukel, auf die vier Kinder passen. Für eines der jüngsten Kinder war diese zu hoch, so dass ich ihm hoch helfen musste, die anderen Kinder schafften es von alleine, dort hochzuklettern. Eine Weile spielte ich dort mit, gab Anschwung und sorgte dafür, dass sich abgewechselt wird. Als ich mich aus dem Geschehen zog und die Kinder auf sich selbst gestellt waren, beobachtete ich, wie sie dem kleinen Mädchen zu zweit auf die Schaukel halfen. Einer hob sie von hinten hoch (so wie ich zuvor) und ein anderes Kind schob zur Unterstützung von unten nach. Sie hatten also mein Handeln beobachtet, reflektiert und umgesetzt, da ich nicht mehr zur Verfügung stand. Wirklich faszinierend!
Ich hoffe, dass ich Euch in der Zukunft noch an vielen solchen Erlebnissen und Erfahrungen teilhaben lassen kann und ihr vielleicht auch etwas für Euch selbst davon mitnehmen könnt! J Liebste Grüße, Michelle J
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