Vom Leben lernen: Mein vierwöchiges Orientierungspraktikum

Mensch, wie die Zeit vergeht. Nun sind schon die ganzen 4 Wochen meines Orientierungspraktikums, das ich während meiner Sozialassistenten-Ausbildung im Evangelischen Johannesstift absolvieren muss, herum. Bei diesem Praktikum konnte man, wie der Name schon sagt, sich orientieren. Sich orientieren, ob der soziale Beruf wirklich was für einen ist, ob man wirklich täglich mit verschiedenen Menschen zusammenarbeiten möchte, aber genauso kann man sich orientieren, ob denn die Richtung, die man sich für dieses Praktikum ausgesucht hat, die Richtige ist. Denn man kann als Sozialassistent/in mit alten Menschen, mit behinderten Menschen oder mit Kindern und Jugendlichen arbeiten.

Ich habe mir für diese vier Wochen eine Senioreneinrichtung ausgesucht,  die mit demenzerkrankten Menschen arbeitet.  Die Menschen dort sind stark eingeschränkt, können meistens nicht mehr richtig sprechen, selbstständig laufen oder essen und sind geistig verwirrt.  Natürlich sind nicht alle Menschen gleich. Es gibt dort auch noch viele, die das alles noch gut können und geistig relativ fit sind – aber das ist dann das Anfangsstadium der Demenz. In den vier Wochen habe ich erlebt wie schnell ein Mensch abbauen kann.

Also in dieser Einrichtung gibt es 8 Hausgemeinschaften mit jeweils 8 Bewohnern. Jeder Bewohner hat sein eigenes Zimmer mit dem Mobiliar aus eigenem Hausstand. Bis auf das Bett, das ist ein extra Pflegebett, welches man verstellen und hoch und runter fahren kann.  Es soll alles so wenig wie möglich wie ein Krankenhaus wirken – sondern wirklich wie eine große WG. Das Pflegepersonal trägt auch normale Straßenkleidung.

Weiterhin wird darauf Wert gelegt, dass die Bewohner so selbstständig wie möglich bleiben – zum Beispiel dürfen sie mit den Fingern essen, wenn sie es mit dem Besteck nicht mehr können, HAUPTSACHE sie tun es. Ich persönlich finde das Konzept richtig gut und hab versucht, die Bewohner immer zur Selbstständig zu mobilisieren. 

In diesem Orientierungspraktikum konnte man sich noch aussuchen, ob man bei allem nur zusieht, ob man praktisch nur in der Betreuung mithilft oder auch in der Pflege. Ich habe mich dafür entschieden, Betreuung und Pflege zu machen. So gehörten zu meinen Aufgaben das Essenreichen, die Bewohner zur Toilette zu begleiten und Hilfestellung zu geben und das Waschen der Bewohner.

Bei der Betreuung habe ich immer darauf geachtet, die Bewohner nicht nur zu beschäftigen, sondern auch die noch vorhandenen Fähigkeiten zu fördern – sei es körperlich oder geistig. Meine Hausgemeinschaft – die HG 8 – ist eine mit stark demenzerkrankten Menschen – da war es gar nicht so einfach, die Bewohner dort zu beschäftigen.  Das lag aber „leider“ nicht nur an der körperlichen und geistigen Einschränkung, sondern auch ganz besonders an der wenigen Zeit.

Ich als Praktikant war dort sehr gefragt – als das Pflegepersonal hörte, dass ich ein „Mädchen für alles bin“, ging bei ihnen die Sonne auf J und bei mir unter : / (Scherz ;)) Schon in der ersten Woche war ich total integriert und selbstständig unterwegs. Jeden Morgen ging ich in die Zimmer der Bewohner, öffnete die Vorhänge – wünschte einen guten Morgen, fragte nach dem Befinden und schenkte jedem ein Lächeln J – dann ging ich in die Küche und bereitete Frühstück vor. Bei denen, die im Bett blieben, ging ich in die Zimmer und reichte, wenn nötig, das Essen.

Das alles hört sich jetzt an, als ob ich das mit links und 40°C Fieber gemacht habe. Ganz so war das aber nicht. Am ersten Tag wäre ich nach ein paar Stunden am liebsten wieder gegangen und am liebsten NIE wieder gekommen – weil ich dachte, das ist ÜBERBERHAUPT GAR NICHTS für mich. Zu Hause habe ich in den ersten 2-3 Tagen auch noch viel über die Bewohner nachgedacht, es fiel mir wirklich schwer abzuschalten und Distanz zu bewahren. Ich habe dann viel mit meinem Freund geredet und ihm erzählt, was mir so im Kopf rumgeht, und das hat mir sehr geholfen. Er meinte zu mir: „Man kann sich nicht um jeden Gedanken machen“ und so ist es auch. Dann ging es.

Ich konnte Beziehungen zu den Bewohnern aufbauen, ohne sie zu nah an mich heran zu lassen.  So habe ich jeden einzelnen mehr und mehr kennengelernt. Ich wusste, was sie mögen und nicht mögen, wie ich auf sie eingehen kann und vor allem habe ich sie verstanden.  Sogar die, die nicht mehr richtig oder gar nicht sprechen konnten. KÖRPERSPRACHE und WAHRNEHMUNG wird in dem Fall ganz groß geschrieben.

Geholfen hat mir auch zu sehen, dass in den Menschen noch Lebensfreude steckt, so habe ich mir vorgenommen jedem Bewohner mindestens einmal am Tag ein Lächeln aufs Gesicht zu zaubern. Und wenn das geklappt hat, war das immer total schön J

Einer „meiner“ Bewohner fing leider oft an zu weinen, wenn ich mit ihm sprach oder ihm den Arm streichelte – das war immer ein trauriger Moment, da ich den Grund für seine Tränen nicht kannte und selber hilflos war in dieser Zeit. In den ganzen 4 Wochen habe ich es nicht geschafft, ihn zum lächeln zu bringen, was immer ich auch versucht habe.  Was ich im Nachhinein sehr schade finde: dass ich so wenig Zeit mit ihm verbracht habe. Ich habe mir immer wieder vorgenommen, ihm eines seiner Bücher vorzulesen. Er mochte nämlich sehr gerne Tiere. Worauf ich aber stolz bin, ist, dass er mir antworte – auch wenn es nur ein kaum zu verstehendes „Ja“ war. In der letzten Woche hat er sogar einen Satz gesagt, von dem ich den Inhalt leider nicht verstanden habe, trotzdem war ich stolz J

Meine letzte Woche war sehr ruhig und traurig – nicht nur, weil es die letzte war, sondern weil einige der Bewohner ziemlich abgebaut haben. „Emma“ (Name geändert), mit der ich mich in den ersten beiden Wochen noch gut unterhalten konnte, die alleine aß und mir erzählte, was auf den Memorykarten zu sehen ist – lag in dieser Woche nur im Bett, erbrach sich ständig, auch einmal, nachdem ich ihr das Essen gereicht hatte – was auch ein hilfloser Moment war, weil ich dachte, dass ich etwas falsch gemacht hätte – und generell war wenig mit ihr anzufangen. Wie ein „Schluck Wasser“ hing sie in ihrem Bett und starrte ins Nichts.

In der letzten Woche verbrachte ich nochmal viel Zeit mit den Bewohnern. Ich schaute öfter in die Zimmer, blieb länger und manchmal guckten wir nur gemeinsam aus dem Fenster. Am letzten Tag machte ich das erste Mal alleine die Grundpflege bei einem „meiner“ Bewohner. Also  oberflächliche Körperwäsche, Zähneputzen, Haare kämmen und hier und da ein Tröpfchen Parfum. Obwohl das einer war, der noch stehen und laufen konnte, war es ganz schön anstrengend – aber überhaupt nicht schlimm.

Als meine Zeit gekommen war und der Feierabend rief, verabschiedete ich mich persönlich bei jedem der Bewohner und wünschte ihnen alles Gute. Eine Bewohnerin freute sich richtig, als ich sie drückte – „Emma“ dagegen war nicht gut drauf und wollte, dass ich so schnell wie möglich das Weite suche. Dennoch fand ich nette Worte für sie. Vom Pflegepersonal bekam ich Danksagungen und Pralinen. DANN war mein Praktikum zu Ende!

Fazit: In dieser Zeit habe ich gute und schlechte Erfahrungen gesammelt. Ich war mittendrin und manchmal auch nur dabei. Ich habe fremde, nackte Körper gesehen und berührt, wurde mit allerlei Körperausscheidungen konfrontiert, musste Launen aushalten, Kritik vertragen und mit gestresstem Pflegepersonal arbeiten. ABER: ich konnte auch den Menschen was Gutes tun, hab ihnen das Leben erleichtert und sie zum Lachen gebracht. Insgesamt hatte ich eine gute Zeit und Freude an der Arbeit. Dennoch sehe ich mich zukünftig nicht in der Rolle einer Altenpflegerin.

Somit ist das Praktikum nun praktisch zu Ende für mich – es wartet in dieser Woche noch ein langer Praktikumsbericht, der geschrieben werden möchte. Ab heute beginnt nun aber wieder eine neue Schulwoche, die ich von vielen praktischen Erfahrungen bereichert beginnen werde. Liebe Grüße, Candy

 

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24 Jahre alt, in der Ausbildung zur Sozialassistentin am Evangelischen Johannesstift Spandau