Im Rahmen unseres SPECIALS „Multi-Kulti in Pflege und Beratung“ haben wir eure wichtigsten Fragen zum Thema Arbeiten in der Pflege und Beratung mit ausländischen Wurzeln der Expertin Wiebke Rockhoff gestellt. Sie ist Referentin für Grundsicherung und Arbeitsmarktpolitik bei der Diakonie Berlin-Brandenburg-Schlesische Oberlausitz. Hier sind ihre Antworten:
Frau Rockhoff, in unserem Hintergrundtext erklären Sie, dass manche diakonischen Einrichtungen bei ihren Auszubildenden die Taufe voraussetzen, während andere zum Beispiel auch muslimische Bewerber nehmen. Wird sich das wegen des Fachkräftemangels in Zukunft ändern? Diakonie-Präsident Ulrich Lilie spricht sich immerhin sehr deutlich für die Einstellung von nicht-christlichen Mitarbeitern in diakonischen Einrichtungen aus…
Ich denke, dass sich da etwas ändern wird, und ich hoffe sehr, dass es von den diakonischen Einrichtungen nicht als Problem sondern als Chance für eine Weiterentwicklung gesehen wird. In einer Einwanderungsgesellschaft wie Deutschland ist es wichtig, neue Formen zu finden, christliche Werte in der Arbeit sichtbar werden zu lassen. Nur weil jemand getauft ist, ist das noch keine Garantie dafür, dass er solche Werte im Arbeitsalltag rüberbringt. Aus meiner Sicht kann es auch in interreligiösen Teams ein bewusstes Bekenntnis zu christlichen religiösen Werten beim Arbeiten geben – es gibt zu Themen wie z.B. Nächstenliebe große Parallelen zwischen den Konfessionen, zu denen man sich als Team aktiv bekennen kann.
Wie ist das bei den Führungskräften? Auch unterschiedlich je nach Einrichtung oder strenger?
Bei Führungskräften wird nach meiner Erfahrung durchgehend die Zugehörigkeit zu einer christlichen Kirche oder evangelische Kirchenzugehörigkeit verlangt. Wenn es um Themen im Migrationsbereich geht, bei denen Mitarbeitende mit speziellen interkulturellen Kompetenzen gesucht werden, werden auch Fachkräfte anderer Konfessionen eine Chance haben.
Jetzt ein paar konkrete Fragen aus der Berufsberatung. Halil aus unserem Hintergrundtext hat sich taufen lassen, weil er nur so seinen Ausbildungsplatz in seiner diakonischen Einrichtung bekam. Für ihn war das kein Problem. Was raten Sie einem Jugendlichen, der sich für den Ausbildungsplatz taufen lassen müsste, es aber eigentlich nicht möchte?
Religiöse Überzeugung lässt sich nicht erzwingen! Auch diakonische Einrichtungen suchen keine Menschen, die sich nur aus Pragmatismus zum christlichen Glauben bekennen Wenn ihm die Stelle und die Einrichtung gefällt, rate ich dazu, in die Offensive zu gehen, mit dem Arbeitgeber über seine religiöse Überzeugung zu sprechen und zu begründen, warum er sich nicht christlich taufen lassen will. Offenheit und Gesprächsbereitschaft sind wichtige Kompetenzen in der sozialen Arbeit. Vielleicht gibt die Einrichtung dem Bewerber auf dieser Grundlage eine Chance. Und wenn man mit Religion, egal welcher, gar nichts anfangen kann, sollte man sich eher einen nicht-konfessionellen Arbeitgeber suchen.
Von einer jungen Frau, die aus Kenia eingewandert war, hörten wir, dass sie zwar die Ausbildung zur Altenpflegerin in Deutschland machen darf und für diese Zeit ein Visum bekommt, danach aber nicht hierbleiben und arbeiten darf. Ist der soziale Beruf denn dann wirklich eine Perspektive für sie?
Vor dem Hintergrund eines großen Fachkräftemangels in der Pflege in Deutschland und anderen europäischen Ländern wird sich sicherlich an der Frage, wer nach seiner Ausbildung hier arbeiten darf, in der nächsten Zeit noch Einiges tun. Ganz allgemein sind soziale Berufe aus meiner Sicht für den Einsatz weltweit eine gute und sinnvolle Perspektive. Wie auch in Deutschland, gehören sie auch in anderen Ländern nicht immer zu den am besten bezahlten, insbesondere gute pflegerische Kompetenzen werden aber natürlich überall dringend gebraucht. Inzwischen ist es erklärte Politik der Bundesregierung, Fachkräfte zu gewinnen, auch aus dem Ausland. Sollte es Schwierigkeiten mit der Aufenthaltsverlängerung, empfiehlt sich, eine Migrationsberatungsstelle aufzusuchen.
Was sagen Sie einem jungen Muslim, der mehrere Ablehnungen von evangelischen Einrichtungen bekommen hat und glaubt, das liegt an seiner Religion?
Wenn eine diakonische Einrichtung nur christlich getaufte Bewerber einstellt, steht das deutlich in der Stellenausschreibung oder in der Ausbildungsrubrik auf der Webseite unter Zugangsvoraussetzungen. Wenn man sich nicht sicher ist, einfach nachfragen. Akzeptiert die Einrichtung ausdrücklich auch Bewerbungen von nicht getauften jungen Leuten, dann hat die Absage andere Gründe. Ich würde auch hier zur Nachfrage bei der Einrichtung raten. Wenn der Bewerber tatsächlich das Gefühl hat, dass die Einrichtung ihn wegen seines türkischen Backgrounds nicht in die Auswahl genommen hat, sollte er das gemeinsam mit einer Vertrauensperson bei der Einrichtung ansprechen.
Welche Vorteile hat die Integration von Nachwuchskräften mit Migrationshintergrund für die Einrichtungen? Klar, ein Altenpfleger, der türkisch spricht, kann sich mit einem türkischen Senioren in seiner Muttersprache unterhalten und weiß, dass der türkische Senior kein Schweinefleisch essen darf und die türkische Seniorin nicht von männlichen Pflegekräften gewaschen werden soll. Aber es geht ja um mehr als das.
Woher wissen Sie, ob der türkische Senior unbedingt türkisch sprechen will? Oder ob er so religiös gelebt hat, dass er kein Schweinefleisch essen darf? Und ob die deutsche Seniorin nicht vielleicht sehr viel lieber auch von einer Frau gewaschen werden möchte? Interkulturelle Kompetenz durch multikulturelle Teams ist hier das Stichwort: ein Bewusstsein für eventuell vorhandene kulturelle Unterschiede und ein sensibler Umgang damit. Das beschränkt sich nicht auf die Kenntnis ganz spezieller Informationen sondern ist sehr viel mehr eine Haltungsfrage. Natürlich können das ganz handfeste Dinge wie Verständigungsmöglichkeiten und Kenntnis religiös-kulturell bedingter Essenvorschriften sein – aber das ist nicht alles. Also noch mal kurz gesagt: für die Einrichtungen ist es gut, wenn ihre Teams die Zusammensetzung der Bevölkerung in etwa abbilden.
Gibt es spezielle Bewerbungstipps für die jungen Leute mit Migrationshintergrund, die sich für einen Ausbildungsplatz im sozialen Bereich interessieren?
Für BewerberInnen mit Migrationshintergrund gelten die gleichen Voraussetzungen wie für diejenigen ohne: notwendig sind Offenheit, Empathiefähigkeit, Lust auf Kontakte zu Menschen und Kommunikation, die Fähigkeit, sich auszudrücken und im Team zu arbeiten. Natürlich ist es im sozialen Bereich wichtiger als in vielen anderen, die deutsche Sprache gut zu beherrschen, weil im Umgang mit Menschen ständig überall Kommunikation stattfindet. Aber auch andere Sprachkenntnisse sind von großem Vorteil. Ein großer Teil der jungen Menschen mit ausländischen Wurzeln ist hier geboren und aufgewachsen; Deutschkenntnisse sind für sie kein Problem. Bewerben können sich alle jungen Leute, egal mit welcher Herkunft.
Wenn interkulturelle Kompetenzen, Kenntnisse eines anderen Kulturraumes oder auch Sprachkenntnisse wie in vielen Feldern der sozialen Arbeit für die Ausübung der Tätigkeit einen Gewinn darstellen, ist es selbstverständlich eine gute Idee, auf seine Kompetenzen in diesem Bereich hinzuweisen. Allerdings: Diese Kompetenzen hat ein junger Mensch mit ausländischen Wurzeln nicht automatisch und auch junge Menschen ohne Migrationshintergrund können sie haben.
Vielen Dank, Frau Rockhoff! Und liebe Leser, hier geht’s zu unserem SPECIAL „Multi-Kulti in Pflege und Beratung“.