Menschen kennenlernen: Das Thema Biografiearbeit im Pädagogikunterricht

Liebe Community, heute melde ich mich nach langer Pause wieder zu Wort. Auch wenn wir uns jetzt schon eine Weile im Jahr 2012 befinden, möchte ich euch dennoch erst einmal ein gesundes und frohes, neues Jahr wünschen.

Nach Silvester ging bei mir der Stress in meiner Sozialassistentenausbildung im Evangelischen Johannesstift gleich weiter. Es standen neue/alte Themen auf der „to-do-list“ und auch so einige Tests und Klausuren, für die ich lernen musste. Daher hab ich auch nicht die Zeit gefunden, vorher zu schreiben. Aber ich möchte euch ja auch nichts vorenthalten. So auch nicht die schönen Worte einer alten Frau aus einem englischen  Altersheim, die dort verstorben war.  Sie hatte in ihren letzten Lebensjahren nicht mehr sprechen können, aber ab und an sah man sie schreiben. Dabei herausgekommen ist das Gedicht, das ihr unten lesen könnt. Die deutsche Fassung besorgte Gertraude Waechter. Da wir im Lernfeld 1 „Pädagogik“ gerade das Thema Biografiearbeit haben passt das Gedicht ganz gut. Ich finde es richtig schön und wahrhaftig.

In diesem Beitrag möchte ich mich schon jetzt verabschieden und wünsche euch viel Spaß beim Lesen und wir treffen uns im nächsten Blog, der bald folgen wird, da ich euch ja auch noch den Rap versprochen habe. Liebe Grüße, Candy J

Was sehen Sie, Schwester?    

Was sehen Sie, Schwester,
wirklich, was sehen Sie?
Wenn Sie mich ansehen,
denken Sie daran:

Eine runzlige alte Frau,
nicht besonders klug,
unsicher in ihrem Verhalten,
die Augen in die Ferne gerichtet,

die ihr Essen verkleckert
und die keine Antwort gibt,
wenn Sie mit lauter Stimme sagen:
„Nun versuchen Sie es doch wenigstens“,

die nicht wahrzunehmen scheint,
was Sie mit ihr tun,
und die andauernd
einen Strumpf verliert oder einen Schuh,

die alles mit sich tun lässt,
ohne eigenen Willen,
baden oder füttern,
den ganzen Tag lang.

Ist es das, was Sie denken?
Ist es das, was Sie sehen?
Schwester, öffnen Sie die Augen!
Sie schauen mich ja gar nicht an.

Ich will Ihnen sagen, wer ich bin,
die ich hier so still sitze,
die ich Ihren Befehlen folge,
die ich esse, wann Sie es wollen.

Ich bin ein Kind von 10 Jahren,
mit Vater und Mutter,
mit Brüder und Schwestern –
sie alle lieben sich.

Ich bin ein junges Mädchen von sechzehn,
mit Flügeln an den Füßen,
träumend, dass es nun bald
einen Geliebten findet.

Ich bin zwanzig und Braut,
mein Herz macht Sprünge,
und ich denke an das Versprechen,
das ich gegeben habe.

Ich bin fünfundzwanzig,
habe nun selber Kinder,
die mich brauchen
für ein glückliches Zuhause.

Ich bin eine junge Frau von dreißig,
meine Kleinen wachsen schnell.
Sie sind miteinander verbunden
durch Bande, die immer halten.

Ich bin vierzig, meine Kinder fast erwachsen,
sie gehen fort von daheim.
Aber mein Mann steht mir zur Seite,
und achtet darauf, dass ich nicht weine.

Ich bin fünfzig, und wieder
spielen Babys auf meinen Knien,
und wieder leben wir mit Kindern,
mein lieber Mann und ich.

Es kommen dunkle Tage,
mein Mann ist tot.
Ich blicke in die Zukunft
und mich schüttelt die Angst.

Denn meine Kinder haben viel zu tun,
sie ziehen jetzt selber ihre Kinder groß,
und ich denke an vergangene Jahre
und die Liebe, die mich umfing.

Nun bin ich eine alte Frau
und die Natur ist grausam,
sie macht, dass wir
aussehen wie Narren.

Der Körper ist verfallen,
Schönheit und Kraft sind dahin.
Und wo einst ein Herz schlug,
ist nur noch ein Stein.

Aber in diesem Leib
wohnt noch immer dieses junge Mädchen.
Und bisweilen freut sich
mein geplagtes Herz.

Dann erinnere ich mich der Freunde,
ich erinnere mich der Not.
Und liebe und lebe
mein Leben noch einmal.

Ich gedenke der Jahre:
zu wenig und zu rasch verflogen.
Aber ich weiß auch,
dass nichts ewig dauern kann.

Darum Schwester, öffnen Sie Ihre Augen
und schauen Sie,
sehen Sie nicht die alte schrumplige Frau
schauen Sie genauer hin – sehen Sie mich.

Veröffentlicht von

24 Jahre alt, in der Ausbildung zur Sozialassistentin am Evangelischen Johannesstift Spandau