Alltag in der Behindertenhilfe: Mein neuer Schützling Francine

Hallo liebe Community, eine weitere  Woche meines 8-wöchigen sozial-pflegerischen Praktikums, welches ich in meiner Sozialassistentenausbildung im Evangelischen Johannesstift absolvieren muss, ist vergangen. In dieser Woche konnte ich mich schon recht selbstständig bewegen. Wie ich im letzten Beitrag erwähnte, konnte ich mir ja einen Schüler oder eine Schülerin aussuchen, für die ich erst einmal zuständig sein möchte – zuständig für die Beschäftigung, Hilfestellung und Pflege. Die Schülerin, der ich nun stets zur  Seite stehe, hat wie die meisten „meiner“ Schüler eine Mehrfachbehinderung und verbleibt im Rollstuhl.

Als ich Francine (Name geändert) das erste Mal sah, war sie mir auf Anhieb sympathisch, wenn ich das so sagen kann. Sie wirkt sehr zierlich und schwach, spricht kaum und wenn, dann sehr leise und in kurzen Sätzen. Man muss sie stark zum Reden animieren. Am besten macht man das, indem man ihr Auswahlmöglichkeiten gibt, zum Beispiel: „Francine, möchtest du eine Banane oder einen Apfel?“ Francine mag es, wenn man ihr vorliest, und bei bekannten Texten kann sie Wörter ergänzen, welches auch eine gute Möglichkeit bietet, ihr Sprachvermögen zu fördern und den Wortschatz eventuell zu erweitern.

Jetzt fragt ihr euch sicher, warum mir gerade dieses Mädchen so sympathisch ist. Ehrlich gesagt weiß ich das selber gar nicht so genau – ich hab sie gesehen und dachte mir erst einmal „oh die ist aber niedlich, wie sie da so sitzt und guckt mit ihren großen, braunen Augen“,  aber Francine ist genauso auch eine Herausforderung. Wie jedes Kind hat auch sie einen Förderplan – ihr Wortgut soll gesteigert werden sowie das allgemeine Sprachvermögen und die Selbstständigkeit. Da sie von allem immer ein bisschen besitzt, erleichtert es die Arbeit mit ihr, macht Spaß und motiviert natürlich auch sehr, gesetzte Ziele zu erreichen. Klar, ich bin kein Therapeut, Arzt oder Lehrer, aber dennoch find ich es gut, wenn ich einen kleinen Teil zugetan habe.

Nun ist aber auch nicht alles „Friede, Freude – Eierkuchen“, wie man so schön sagt. Es ist ohne Frage teilweise sehr anstrengend. Man benötigt viel, viel – viel GEDULD. Immer wieder auffordern, animieren und das wiederholt. Bei Francine bin ich stark überfordert, wenn sie mit Schreien und Weinen reagiert – das passiert, wenn ihr etwas nicht gefällt oder es nicht nach ihrer Nase läuft. Ich glaube, da bin ich noch zu zurückhaltend, um mich richtig zu verhalten. Ich denk dann immer „oh was hat die Arme denn jetzt?“ und dabei sind das manchmal nur „Diva-Allüren“, die sie zu Tage bringt „laut der Betreuer“.  Also Samthandschuhe ausziehen und freundlich aber mit Nachdruck  die Regeln einfordern. Ich bin da immer ein bisschen zu weich, aber ich glaube, das ist meine Natur,  zugegeben.

Aber ich denke, gerade Kinder oder allgemein Menschen mit einer Beeinträchtigung sollten eine klare Struktur haben. Ich meine, natürlich brauchen die, die keine haben, genauso Regeln, aber möglicherweise kann man da ab und zu mal stärker abweichen, weil sie Änderungen gut aufnehmen und schnell wieder in den regulären  Ablauf wechseln können, ohne Probleme. Das ist jetzt eine/meine These.

Also, mein Verhalten den Kindern gegenüber spiegelt sich auch in ihrem Verhalten mir gegenüber wieder. Sie überschreiten einfach viel öfter Grenzen oder Felix versucht mit mir zu diskutieren. Das sind einige Gründe, warum es teilweise ziemlich anstrengend ist. Hinzu kommt, dass ich weiterhin etwas verkrampft bin. In meiner Klasse fühle ich mich noch nicht richtig aufgenommen, obwohl ich mich mit den Betreuern ganz gut verstehe und sie auch nett sind, aber dennoch ist der Knoten bisher nicht geplatzt. Außerdem ist die Situation noch fremd, also wie ich nach außen damit umgehe, so dass ich mich manchmal wie ein Idiot aufführe (hab ich das Gefühl). Am Donnerstag habe ich mich mit einer Betreuerin über die Klassenfahrt unterhalten, die sie im Mai machen möchten. Ich wollte wissen, ob die Räumlichkeiten, in denen sie die Zeit über leben, für Menschen mit Behinderung geeignet sind. Sooo habe ich das aber nicht ausgedrückt, ich hab da rumgestammelt und hätte eigentlich nur fragen müssen ob die Räumlichkeiten behindertengerecht sind. Kam mir nicht in den Sinn. Also in der Hinsicht muss ich noch lockerer werden. Aber eine Weile bin ich ja noch da.

Was ich auch nicht gedacht hätte, wie schön die Kinder bei Angeboten wie Malen und Kochen mitmachen können. Natürlich muss man unterstützen, aber trotzdem können  sie mitwirken.  Freitags kochen wir in unserer Klasse immer selber und in der letzten Woche habe ich zum Beispiel die Karotten geschält und Francine hat die Schale in eine Schüssel getan, natürlich konnten die Kinder auch naschen J.

Was ich sonst noch lerne in diesem Praktikum sind Gebärden, die benötige ich zum Beispiel für Max, denn Max kann uns zwar gut verstehen aber anders herum gibt es arge Probleme. Gebärdensprache, auch Zeichensprache genannt, sind verschiedene Zeichen, die man mit den Händen macht um sich mitzuteilen. Für euch habe ich dieses Mal ein kurzes Video gemacht mit meiner Klassenkollegin Franzi, die euch anhand von Gebärden die Wochentage und Jahreszeiten vorstellt. Außerdem seht ihr noch das Bild zur Klassenfahrt, das ich mit Francine gestaltet habe. Auf dem Bild ist ein Boot, denn die Fahrt geht nach Dänemark und da müssen sie wohl auch mit einem Schiff fahren. Ich wünsche euch eine schöne Zeit. Bis bald, liebe Grüße, Candy J

P.S. Ein Filmtipp für alle, die sich dafür interessieren, wie ungewohnt es für einen Menschen, der bisher keinen Kontakt zu Menschen mit Beeinträchtigungen hatte, ist, sich auf sie einzulassen. Und wieviel Geduld das erfordert: „Rainman“ mit Tom Cruise und Dustin Hoffman.

Veröffentlicht von

24 Jahre alt, in der Ausbildung zur Sozialassistentin am Evangelischen Johannesstift Spandau