Wir sind eine richtige Community!

Marc Spoddeck ist Heilerziehungspfleger und Gruppenleiter der Integrationsgruppe einer Kita des Deutschen Roten Kreuzes in Schkeuditz, Sachsen. Mit seinem Street Art Bild „Sozial dabei, weil es nicht nur richtig, sondern WICHTIG ist!“ hat der 24jährige unser 2. Voting gewonnen. Heute lernt ihr ihn kennen!

„Früher war ich war ich ziemlich eingebildet“, gesteht Marc ganz ehrlich, „und auch materiell orientiert: Ich wollte immer tolle Klamotten, ein cooles Fahrrad, das neueste Handy haben.“ Das kann man sich gar nicht vorstellen, wenn man den 24jährigen heute kennenlernt. Dass seine dezente Brille ziemlich schick ist, ist das einzige, was auffällt. Ansonsten: kurze, schwarze Wuschelhaare, Stefan-Raab-Bart, Käppi, Jeans und Poloshirt. Und eine absolute Begeisterung für seinen Beruf, die nur so aus ihm heraussprudelt! Zwar seufzt Marc: „Ich bin total fertig von der Arbeit heute!“, kann aber trotzdem dabei noch lachen. Er lässt sich auf den cremefarbenen Zweisitzer in seiner Junggesellenbude fallen. „Am liebsten würd‘ ich mich gleich ins Bett legen. Das mach ich auch meistens nach der Arbeit: zwei Stündchen schlafen. Und dann steh ich wieder auf!“ Die Energie der Kids kann ganz schön schlauchen. Und auch der Lärm, den sie beim Spielen machen. „Wir haben diese Woche mit den Kindern geübt, auch mal Ruhe zu finden“, erzählt Marc, „Dazu haben wir viele ‚Stilleübungen‘ gemacht – wie Massagen und Traumreisen.“

Und wie kam es nun zu dem Sinneswandel – vom arroganten (wie er selbst sagt!), an Statussymbolen interessierten Hauptschüler zum soziale-Berufe-Überzeugungstäter? „Ich war im Urlaub auf dem Jakobsweg unterwegs. Da hab‘ ich eine Gruppe von Menschen mit Behinderung kennengelernt, zwei Mädels und drei Jungs, die mich total fasziniert haben“, erinnert sich Marc, „Sie waren so fröhlich und zufrieden! Schon über zehn Kilometer Wegstrecke haben sie sich riesig gefreut. Und sie haben faszinierende Dinge bemerkt: Ob eine Blume auf der Fensterbank eines Hauses stand, an dem wir vorbeikamen, oder ob in dem Haus alle Fenster offen waren. Die Welt der Behinderten ist eine ganz eigene wunderbare Welt. Sie leben glücklicher als mancher Nicht-Behinderte. Ein Mensch mit Behinderung ist hellauf begeistert, wenn er ausnahmsweise mal weiße statt dunkle Schokolade bekommt!“ Die beiden Betreuer der Gruppe auf dem Jakobsweg erzählten Marc vom Beruf des Heilerziehungspflegers. Und so kam er auf die Idee, dass das was für ihn sein könnte.

Dass er mit Menschen arbeiten wollte, war für ihn aber auch vorher schon klar gewesen. Er steckte schon in der Basisausbildung zum Kinderpfleger und wollte danach eigentlich mit der Erzieher-Ausbildung weitermachen. Dass soziale Berufe eher was für Frauen sein sollen – mit dem Vorurteil kann Marc gar nichts anfangen. „Das war vielleicht vor 20 Jahren so, dass Erzieher ein reiner Frauenberuf war!“, überlegt er, „Aber heute ist das doch ganz anders. 70 Prozent meiner Freunde arbeiten mit Menschen. Wir Azubis und Fachkräfte in den sozialen Berufe sind eine richtige Community – aus Frauen UND Männern. Ich finde, in jeder Kita sollten auch Männer als Ansprechpartner für die Kinder da sein. Ich merke das jeden Tag: Die kleinen Jungs brauchen auch mal jemanden, der mit ihnen durch die Hecke springt. Es gibt Sachen, die besprechen sie nur mit mir! Zum Beispiel wenn‘s um Fußball geht oder um Jungsprobleme. Man glaubt gar nicht, was die Sechsjährigen schon über Mädchen lästern! Die regen sich über das Prinzessinnengetue auf und über die Frauenlieder, die meine Erzieher-Kollegin für die Mädels aufnimmt.“

Was Marc nervt, ist dieser Generalverdacht gegen Männer, die mit Kindern arbeiten. Durch die Missbrauchsfälle, die gerade erst wieder durch die Medien gingen, sind die Leute sehr vorsichtig geworden. „Wenn ich als Mann ein Kind auf dem Schoß sitzen habe, gucken sie mir immer ganz genau über die Schulter“, erzählt Marc, „Für mich ist das okay, ich habe nichts zu verbergen. Aber viele andere Männer möchten sich nicht dauernd diesem Verdacht stellen müssen. Wenn Männer als Erzieher arbeiten, dann eher in der Jugendhilfe.“

Als Marc in der Behindertenhilfe anfing, hat er zuerst einen ganz schönen Kulturschock bekommen. All die traurigen Schicksale, die man dort sieht: kranke Kinder, sexuelle Gewalt, die Zustände in sozial schwache Familien, schwerstmehrfache Behinderungen, Leid und Elend… „Man muss sich seine Ventile suchen, um mit dem, was man dort erlebt, klarzukommen“, sagt der 24jährige, „Ich hatte mir den Beruf einfacher vorgestellt und habe mir mein dickes Fell mühsam antrainieren müssen. Man darf kein Mitleid mit behinderten Menschen haben, so nach dem Motto: Och, die armen, kleinen Behinderten! Viele sind so geboren, sie kennen es gar nicht anders. Sie sind auch mit ihrer Behinderung glücklich.“ Die Freude über die einfachen Dinge des Lebens haben sie mit Kindern gemeinsam. Darum ist die Arbeit in der Integrationsgruppe einer Kindertagesstätte für Marc auch die perfekte Kombination: „Jugendliche kriegen vielleicht gerade mal ein Lächeln zustande, wenn sie ihre Playstation im Osternest finden. Kinder dagegen können sich noch über eine selbstgebastelte Maske freunden! Oder wenn man ihnen zum vierten Mal dasselbe Märchen vorliest.“

Neben seinem Job in der Kita macht Marc im Moment eine berufsbegleitende Ausbildung zum staatlich anerkannten Heilpädagogen. Die dauert fünf Semester, also zweieinhalb Jahre. In der Heilpädagogik geht es darum, Menschen in jedem Alter, die unter besonders schweren Bedingungen leben, zu helfen, sodass sie am Leben in der Gesellschaft teilhaben können und nicht zu Außenseitern werden. Dafür gibt es verschiedene Methoden, die Marc in der Ausbildung kennenlernt oder aus der Heilerziehungpflege-Ausbildung schon kennt und jetzt vertieft. „Man darf in den sozialen Berufen nicht stehenbleiben, man muss sich immer weiterentwickeln!“, weiß er, „Was du heute lernst, ist in zehn Jahren schon nicht mehr aktuell. Als ich mit der Ausbildung anfing, hat mit mir zum Beispiel noch keiner über Inklusion gesprochen, heute ist es das zentrale Thema der Heilerziehungspflege und Heilpädagogik.“ Inklusion bedeutet, die Trennung zwischen kranken, behinderten oder sonstwie beeinträchtigten Menschen und gesunden Menschen komplett aufzuheben. In unserer Gesellschaft gehören wir alle zusammen! Deshalb ist Marcs Motto ein Satz, den er sich bei einer Reha-Messe für Menschen mit Behinderungen und ihre Fachkräfte mal mitgeschrieben hat: „Wer als Mensch nicht ausgegrenzt wurde, muss auch später nicht durch besondere Maßnahmen integriert werden. Denn wo Abgrenzung endet, fängt Menschlichkeit an.“

Eine große Herausforderung, der sich Marc durch seine Berufswahl verschrieben hat! Er kann das nur so voller Power durchziehen, weil er sich an seine eigenen Regeln hält. Zum Beispiel: Arbeit ist Arbeit und Freizeit ist Freizeit. Da wird abgeschaltet. Besonders nach einem anstrengenden Tag wie heute! Obwohl, als ich Marc am Ende unseres Gesprächs frage: „Und, gehst du jetzt schlafen?“, da sagt er: „Och nö, jetzt bin ich wieder wach!“